: Am Ende des Fleisches
Körperkonsum Am Theater Bremen inszeniert Felix Rothenhäusler das Romandebüt „Verzehrt (Consumed)“ des Filmregisseurs David Cronenberg. Als Kritik aktuell gefährlicher Liebschaften taugt der Stoff aber kaum
von Jens Fischer
Stichwort Penis: das Theater Bremen hat zur Saisoneröffnung wichtige Dinge im Blick. „Verzehrt (Consumed)“ ist die Uraufführung betitelt und lässt Hauptfigur Naomi (Annemaaike Bakker), eine Journalistin, bei ihren Interviewpartnern die Männlichkeitssymbole ganz genau in Augenschein nehmen. Das eine Exemplar knicke nach rechts ab, wenn es erigiert ist, ein anderes sei langweilig klassisch modern, heißt es. Schließlich lässt sie sich auf den Besitzer eines „schlaffen, samenverkrusteten“ Gliedes ein, das nicht mehr abspritzen könne.
Auch wenn all das und alle folgenden Exzesse nur in der Bühnensprache stattfinden – und vielleicht in der Zuschauerfantasie – wird sofort klar: Diese schrumpelhäutig schlecht designten Anhängsel lohnen des Begehrens nicht. Weswegen es Naomi auch kaum stört, ihrem Freund Nathan (Robin Sondermann), ebenfalls ein global herumjettender Journalist, vornehmlich per Display und im Internet zu begegnen. Nur einmal wird ein analoges Tête-à-Tête in einem Flughafenhotel arrangiert, als sich beider Recherchereisen in Amsterdam kreuzen. Nähe zu anderen Menschen weiß das virtuelle Paar aber vor allem im Fokus ihrer Hightech-Kameras herzustellen.
So wird der kanadische Film-Regisseur David Cronenberg mit seinem dramatisierten Debütroman in Bremen als mitleidloser Chronist eines sozialen Wandels vorgestellt. Die grotesk deformierten Zeitgeist-Protagonisten ohne Eigenschaften sind Exegeten und Praktiker der im Text formulierten Philosophie des Konsums: „Wenn man kein Verlangen mehr spürt, ist man tot. Selbst das Verlangen nach einem Produkt, einem Konsumartikel, ist besser als überhaupt kein Verlangen.“
Und da alle emotional recht abgestumpft wirken, wird alles Begehren auf die perfekten, einfach zu bedienenden Oberflächen des digitalen Lifestyle-Equipments konzentriert: Aufnahmegeräte, Smartphones, Laptops, der ganze Schnickschnack aus den neuen Kirchen, den Elektroniksupermärkten. Markenfetischismus kommt in endlosen Elogen zu Gehör. Wobei nicht nur die Objekte, sondern auch ihre Bedeutungen Konsumartikel seien, betonen Stücktext und Programmheft.
Alles scheint jedenfalls besser als diese jämmerliche Physis all der Penisse. Geweckt ist die Lust auf Transformation – auf Selbstentleibung. Das muss dann wohl der ultimative Kick sein für diese verlorenen, getriebenen, nur noch in Extremsituationen überhaupt etwas spürenden Figuren. Und zumindest Naomi wird eine Möglichkeit spendiert, das Begehren als finale Form des Konsums im Verzehrtwerden zu spüren.
Zärtlichkeit der Gewalt: Ein hier Aristide und Célestine Arosteguy genanntes Intellektuellenpaar hat es scheinbar vorgelebt. Die Unendlichkeit des geistigen Verlangens kippte, so wird erzählt, bei Aristide (Siegfried W. Maschek) in unstillbaren physischen Hunger, das Besitzen-Wollen als Ausdruck besessener Liebe wurde als Einverleibung, Verspeisen der sterbenskranken Partnerin gelebt: Kannibalismus. Das musste sein, um sie vor dem Krebstod zu bewahren, begründet der Fleisch-Gourmet den Metzgerliebesdienst.
In ihrer Sehnsucht nach Intensität erliegt Naomi diesem, sagen wir mal fragwürdigen Reiz, reist Aristide nach Japan nach und erlebt das Glück ihres Lebens: „Du tranchierst meine linke Brust mit einem Küchenmesser. Du schneidest sorgsam und dankbar ein großes Stück Fleisch heraus“, sagt sie. „Jeden Bissen genießt du, während ich dich anfeuere, mich zu zerlegen, erst meine Brüste abzutrennen und schließlich meinen Kopf, der nie aufhört, alles mitzubekommen, und nie aufhört, liebevoll zu lächeln, selbst als du anfängst, meine Lippen zu essen.“ Später tritt auch noch Gott als 3-D-Drucker auf und produziert amputierte Körperteile.
Das psychisch angeschlagene Stückpersonal erlebt unter der Regie von Felix Rothenhäusler keine amüsierende Verhöhnung, das dekadent wirkende Tun wird nicht als Erlösung gepriesen. Und die provokativen Effekte sind auch kein Anlass für dystopisches Horrortheater. Der Regisseur stellt die Geschichten vielmehr kunstvoll aus. Distanziert, indem er jeder Figur einen manischen Sprechduktus und eine schrill perückte Frisur zuweist.
Ganz im Stil der unterkühlt lähmenden Cronenberg-Film-Settings schleichen sie, in Zeitlupe und wie in Watte gepackt, auf schaumstoffweichem, schallschluckendem Bodenbelag um einen Musiker. Der sägt anfangs nervenzerrende Klänge aus seinen E-Gitarrensaiten, konterkariert so die Lobpreisungen der Technik-Nerds. Später strukturiert er höchst sensibel die Dialoge mit seinem Schlagzeugspiel.
Es ist wie häufig bei Rothenhäusler: Er inszeniert eine rotierende, sprechende Installation, die den tranceartig um sich selbst kreiselnden Zustand, im Eis der Emotionen von fleischlich verorteter Lust zu träumen, meisterlich trifft. Wer das brutal konsequent durchgezogene Regie-Konzept aber nach fünf Minuten verstanden hat, wird in den folgenden anderthalb Stunden nichts Überraschendes mehr erleben. Die Akteure agieren in der konzentrierten, prekär ruhigen Produktion zum Niederknien präzise – latexglatt an der Schnittstelle von Mensch und Maschine.
Aber ist der Stoff die Mühen wert? Nein. Der eher reißerisch spekulative denn sinnlich-intellektuell abgründige Text taugt als Kritik aktuell gefährlicher Liebschaften kaum.
Nächste Aufführungen: So, 20.9., 18.30 Uhr, So, 27.9., 18.30 Uhr, Sa, 10.10., 20 Uhr, Theater Bremen
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