Im Tiyatrom bleiben die Jazzer unter sich, Jacob AppElbaum bekommt einen Anruf von Ai Weiwei, Matthias Pintscher bügelt die Philharmoniker glatt
: Internetaktivisten mögen psychedelische Farben

Ausgehen und Rumstehen

von Tim Caspar Boehme

Los ging es am Mittwoch im Tiyatrom, einem türkischen Theater nahe der Berlinischen Galerie. In einer ruhigen Wohnstraße gelegen und von außen eher unscheinbar, ist es kein Ort für Laufkundschaft. Die Leute an der Bar sind sehr freundlich, ansonsten sind vor allem Jazzmusiker zugegen, es ist der letzte Abend der Kollektiv Nights, des Festivals des Jazzkollektivs Berlin. Zum zweiten Mal schon ist das Tiyatrom der Gastgeber, aber das scheinen nicht allzu viele Leute mitbekommen zu haben. Der Vorraum ist kurz vor Konzertbeginn nur spärlich gefüllt, drinnen bleiben die Sitzreihen ähnlich luftig.

Das Trio um den Posaunisten Gerhard Gschlößl lässt sich nicht beirren, man treibt musikalische Scherze beim freien Improvisieren, besonders der Schlagzeuger geht die Sache mit Humor an, wandert auf der Bühne herum, haut mit einer Plastikflasche auf sein Instrument. Nach der Pause kommen drei ernst wirkende junge Schweizer, die sich SchnellerTollerMeier nennen. Ihr re­duziert-komplexer, abstrakter Rock will jedoch nicht so recht mit dem Raum zusammenkommen, obwohl die Musik an sich toll ist. Man hätte ihnen mehr Publikum gewünscht.

Umso voller war dafür am Donnerstag der Kammermusiksaal der Philharmonie, wo das Emerson String Quartet Streichquartette von Arnold Schönberg und seinen Schülern Alban Berg und Anton Webern gab. Alle drei haben interessanterweise einen Gesangspart hinzukomponiert. Genauer gesagt, hatte Schönberg die Idee, in seinem zweiten Quartett ein Gedicht von Stefan George zu vertonen, das mit dem Satz „Ich fühle Luft von anderem Planeten“ beginnt. Was gut passt, denn die Musik hat etwas Außerweltliches, die Harmonien sind kein festgefügter Grund mehr, auf dem die Töne stehen, sondern lösen sich auf, geraten ins Schwimmen wie Treibsand.

Hinterher in der Künstlerkantine der Philharmonie: angeregte Gespräche über die Frage, ob ein Quartett so einen Zusatz braucht oder die Stimme eher ein Fremdkörper ist, der raumschiffartig über den Streichern schwebt. Die Sängerin Barbara Hannigan kam später an unseren Tisch, um ihren Blumenstrauß zu verschenken. Was hätte sie ihn auch mitnehmen sollen, womöglich zum Flughafen, wo er an der Sicherheitskontrolle in einer dieser großen Mülltonnen gelandet wäre.

Um Sicherheit ging es am Freitag – 11. September – im Kunstquartier Bethanien. Dort saßen der Internetaktivist Jacob Appelbaum, die Filmemacherin Laura Poitras und die Philosophin Theresa Züger in der Reihe „Disruption Network Lab“ auf dem Podium. Bevor die großen Themen wie Überwachung und Whistleblowing als Akt zivilen Ungehorsams diskutiert wurden, ging es aber um Fotos – von Appelbaum ist gerade eine Ausstellung in Berlin zu sehen.

Seine Aufnahmen in verwaschenen Rot- und Gelbtönen zeigen Menschen, mit denen Appelbaum zu tun hat, etwa Julian Assange und der Künstler Ai Weiwei – einer der wenigen Momente, in denen Ai kein Smartphone in der Hand halte, so Appelbaum. Die bunten Farben habe er gewählt, weil er auf Halluzinogene stehe, und die Bilder würden die psychedelischen Eigenschaften der Drogen gut wiedergeben. Danach ging es mit der Runde in ein Restaurant beim Heinrichplatz, wo Appelbaum sich kurz verabschiedete, weil sein Telefon klingelte. Das sei Ai, um sich für den Smartphone-Satz zu rächen, lautete ein Kommentar am Tisch.

Noch einmal Musikfest am Samstag. Der Komponist Matthias Pintscher hatte seinen Dirigenten-Einstand bei den Berliner Philharmonikern. Pintscher ist ein internationaler Star und lehrt seit einem Jahr an der New Yorker Juilliard School. Als Interpret seiner Kollegen überzeugt er weniger. Gabriel Faurés romantische „Pelléas et Mélisande“-Suite geriet ihm arg plüschig, Schönbergs Zweite Kammersymphonie seltsam indifferent und Claude Debussys „La Mer“ ließ einen mit Pintschers klinischem Ansatz ziemlich kalt, obwohl die Musik ambivalent flirren und aufwühlen kann. Sein eigenes Violinkonzert erklingt dafür aufgeräumt und elegant, doch ohne bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Trotzdem großer Applaus.