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Die Katze als Königin des Internets

VERSCHÖNERUNG Die Ausstellung „Porn to Pizza – Domestic Clichés” in der Berliner DAM Galerie vermeidet das Label „Post-Internet-Art”, zeigt aber genau diese Spielart der Gegenwartskunst. Hello-Kitty-Orgie inklusive

Jessica Lichtenstein: Lady Luxury (Detail), 2011 Foto: Jessica Lichtenstein/DAM Gallery

von Tilman Baumgärtel

Falls noch jemand Zweifel gehabt haben sollte: LOL Cats sind kunstausstellungskompatibel geworden. In der Ausstellung „Porn to Pizza – Domestic Clichés“ in der Berliner DAM Galerie blicken einen ganz schrecklich süße Kätzchen aus dem Internet gleich in mehreren Arbeiten mit feuchten braunen Äuglein an.

In Faith Hollands Videoinstallation „Analog Internet IRL“ (2015) dienen sie dazu, das immaterielle und letztlich unvorstellbar expansive globale Onlinenetzwerk zu visualisieren. In einer Installation, die an Nam June Paik oder Shigeko Kubota erinnert, sind Monitore in verschiedenen Größen zu einer dreieckigen Pyramide aufgestapelt, auf denen YouTube-Videos von Katzen laufen. Das Dreieck und die Pyramide seien heilige Formen bei den alten Ägyptern gewesen, die auch die Katzengöttin Bastet verehrten, erklärt die Künstlerin. Heute sei die Katze zur Göttin des Internets geworden, der sie mit ihrer Arbeit eine Art Altar errichten wollte.

An der Wand gegenüber singt in Petra Cortrights Videoarbeit „Puparazzi” (2009) eine digital bearbeitete Katze ein Stück von Lady Gaga, während Pixel-Schneeflocken auf sie her­unterrieseln. Und an der anderen Wand winkt auf einer Zeichnung von Patrick Lichty eine weitere Internetkatze einer Drohne am Himmel zu – ein dezenter Hinweis darauf, dass die LOL Cats ihre Verbreitung derselben Art von digitalen Netzwerktechnologien verdanken, mit der auch unbemannte Bomber über Pakistan gesteuert werden. Denn bei so viel Niedlichkeit im Internet kann man manchmal ganz vergessen, dass zum Transport der herzigen Szenen das avancierteste Kommunikationsnetzwerk dient, das es in der Geschichte der Menschheit gab.

Ursprünglich von Forschern und Ingenieuren in hoch subventionierten Forschungszentren zur Verbreitung von militärischen und wissenschaftlichen Daten entwickelt, wird das Internet von der Menschheit heute scheinbar vorzugsweise zur Verbreitung von Katzenvideos und Witzbildchen genutzt. So entsteht einerseits eine Art digitales Biedermeier, bei dem sich die Nutzer online so nett und unanstößig wie möglich zu präsentieren versuchen. Es findet sich freilich aber auch eine uferlose Onlinekloake, in der jeder seine Macken und Sauereien, seine Neurosen und Perversionen mit der Weltbevölkerung teilen kann.

Bitte nicht das P-Wort

Mit den oft befremdlichen „Inhalten“, die so entstehen, beschäftigen sich seit einigen Jahren die Künstler, die zuletzt unter dem Label „Post-Internet Art“ zusammengefasst worden sind. Das ist weniger eine neue Kunstbewegung (bisher hat sich noch kein Künstler gefunden, der sich mit dem Begriff identifiziert hätte) als die geteilte Sensibilität einer Generation von Künstlern, die mit dem Netz aufgewachsen sind und deren Werk von dieser Tatsache geprägt ist.

Auch wenn Kuratorin Tina Sauerländer das „P-Wort“ ausdrücklich vermeidet, sind viele der Arbeiten in „Porn to Pizza“ klar von diesem künstlerischen Klima geprägt. Oft erinnert das Ganze an die Appropriation Art und Smart Art der 80er und frühen 90er Jahre, in der Künstler wie Jeff Koons, Meyer Vaisman, Cady Noland, John Armleder oder Richard Prince mit Assemblagen von Relikten der Konsumkultur deren Kritik zu formulieren schienen – so wie es nun die Post-Internet-Künstler mit Fundstücken aus dem Netz tun.

Leider gibt es hier keine Institution, die so eine Ausstellung zeigen würde

Bei Appropriation-Art-Leuten wie Koons oder Prince ist man sich inzwischen in puncto Kritik nicht mehr so sicher. Und auch sonst hat sich inzwischen als Nachteil dieser Art des ästhetisch scheinbar wasserdichten Vorgehens erwiesen, dass diese Form der Kritik relativ umstandslos in den Kunstmarkt re­integriert werden kann, und viele der so entstandenen Arbeiten letztlich auch von einer gewissen Gedankenarmut geprägt sind.

Das gilt nicht nur für die Appropriation Art von einst, sondern auch für die Post-Internet Art der Gegenwart, wie etwa das im Stile der „Glitch Art“ verfremdete Bild eines Hamburgers von Paul Hertz zeigt, das weder ästhetische oder intellektuelle Funken schlägt. Das Video „Hello Selfie“ (2014) von Kate Durbin, bei dem einige junge Frauen in Unterwäsche eine Art „Hello-Kitty“-Orgie feiern, bringt das seltsame Missverhältnis von pathologischer Niedlichkeit und Verstörendem im Internet schon besser auf den Punkt.

Die merkwürdigen „Selfie-Drawings“, die Carla Gannis auf ihrem iPad aus Selbstporträts entwickelt, verhandeln die Spielräume, welche die neu ausgebrochene Massenkreativität dem traditionell ausgebildeten Künstler überhaupt noch lässt. Solche Arbeiten sind klug kombiniert mit Verweisen auf die historische Netzkunst der 90er Jahre, die unter anderem durch Cornelia Sollfranks „Netzkunst-Generator“ und Mark Napiers generative Software-Arbeit „PAM on Sofa“ vertreten ist.

Für eine Ausstellung in einer privaten und kommerziellen Galerie ist die Präsentation ambitioniert und erstaunlich marktfern, sie würde auch in einer Kunstinstitution nicht fehl am Platze wirken. Leider gibt es in Berlin keine Kunstinstitutionen, die so eine Ausstellung zeigen würde.

„Porn to Pizza – Domestic Clichés”, bis 24. Oktober in der DAM Gallery, Neue Jakobstr. 6, Mitte

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