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Die Protokollantin des Unbehagens

PARALLELGESELLSCHAFT Eine Künstlerin reist durch Brandenburg, Thüringen und Sachsen und lässt sich von den BewohnerInnen erzählen, was sie von den Geflüchteten in ihrem Ort denken. Zu Besuch in Herzberg, einer kleinen Stadt in Brandenburg

Geschichtensammlerin Kathrin Ollroge auf dem Marktplatz in Herzberg Foto: Nikola Endlich

von Nikola Endlich

Die Vorbehalte, die es gegen Flüchtlinge gibt, hört Kathrin Ollroge fast jeden Tag. Am Anfang ist ihr das schwer gefallen – zuhören, ohne zu unterbrechen oder etwas zu entgegnen. Mittlerweile ist sie geübt darin, die Gedanken von anderen aufzuzeichnen.

Die Fahrt in ihrem Kleinbus führt an diesem Morgen durch Brandenburg, vorbei an grünen Feldern und Kieferhainen nach Herzberg. Hier, im Elbe-Elster- Kreis, etwa 90 Kilometer südlich von Berlin, hängt noch der Dunst vom Regen des Vortages über den Dächern der Einfamilienhäuser, die in regelmäßigen Abständen die Straße säumen. Wie Parzellen wirken die Grundstücke, die fast alle gleich groß und quadratisch geschnitten sind.

Auf dem Platz gegenüber der Stadtpfarrkirche aus roten Backsteinen hat Kathrin Ollroge ihren Stand aufgebaut. In dem kleinen Raum, der neben den Verkaufswägen des allwöchentlichen Marktes steht, sitzt die 46-Jährige mit den kurzen braunen Haaren vor einer Schreibmaschine und hört aufmerksam zu. Ein Mann in Jeans und Wollpulli hat auf dem Stuhl gegenüber Platz genommen. Wie die anderen, die vor dem Stand haltgemacht haben, spricht er über die Flüchtlinge, die hier leben.

„Die kriegen einen Haufen Geld, mehr als ich Rente“

„Wenn man hinten im Ort über die Brücke läuft, kann man von dort aus auf den Sportplatz schauen. Da sieht man sie manchmal den Ball hin und her kicken“, erzählt der Mann, Mitte 50. „Wenn es so viele Flüchtlinge werden, dann ist das nicht gut für Herzberg“, sagt eine andere Frau. Aber es sei traurig, dass Menschen täglich ihre Heimat verlassen müssten und auf der Flucht seien. Sie selbst habe den Krieg miterlebt und sei damals froh gewesen, dass sie freundlich aufgenommen wurde. Ein Rentner berichtet, dass beim Fleischer in der Warteschlange öfter mal über das Thema diskutiert werde. Pro und Kontra gebe es ja immer. „Wenn ich zum Arzt möchte, warte ich vier Wochen, hat dort jemand gesagt und auch, dass die einen Haufen Geld kriegen. Mehr als ich Rente, hört man.“

Viele Erzählungen wie diese hat Kathrin Ollroge im Laufe der letzten Wochen und Monate aufgeschrieben. Seit Herbst vergangen Jahres reist die Künstlerin aus Potsdam durch Städte und Gemeinden in Brandenburg, Thüringen und Sachsen. Auf Marktplätzen, vor Supermärkten oder auf den schmalen Grünstreifen von Plattenblausiedlungen stellt sie ihren „Raum für Gedanken“ auf und schreibt mit, was die Menschen vor Ort über die Geflüchteten sagen. Die grundlegende Ablehnung, die ihr vor Beginn des Projektes immer wieder von vielen Menschen entgegengeschlagen war, hat Ollroge schockiert. Wie geht man damit um? Kann man daran etwas ändern? Das hat sie sich oft gefragt und wollte wissen, woher eigentlich diese Haltung kommt.

Herzberg, die rund 9.000 Einwohner große Stadt am Ufer der Schwarzen Elster, kämpft wie viele Orte in Brandenburg mit einer schrumpfenden Einwohnerschaft, weil viele in nahe liegende Ballungsräume ziehen. Einige der Menschen vor Ort sprechen schon von Herzberg als einer „toten Stadt“. In den leer stehenden Wohnungen und Häusern wohnen seit letztem Jahr Flüchtlinge. Aber die meisten der 80 Geflüchteten in Herzberg sind in einem alten Internat der Oberschule, gleich am Ortseingang, untergebracht. In dem hellblau gestrichenen, zweistöckigen Haus gibt es 60 Plätze. Weitere 120 sollen bis Ende des Jahres in einer anderen Schule entstehen, die gerade im Umbau ist.

Raum für Gedanken

Kathrin Ollroge reist mit ihrem „Raum für Gedanken“ gerade durch Thüringen. In Brandenburg ist sie ab dem 16. September wieder in Städten und Gemeinden unterwegs. Weitere Informationen zu dem Projekt sind auf www.raum-fuer-gedanken.com zu finden. (ne)

Wie viele Flüchtlinge die Stadt dieses Jahr aufnehmen muss, weiß niemand so genau. Auch der Landkreis sucht weiterhin nach Unterkünften im Elbe-Elster-Kreis, im August wurde die Anzahl der zugeteilten Flüchtlinge von geplanten 700 für dieses Jahr auf rund 1.200 erhöht – davon sind erst 300 untergebracht. Viele der BewohnerInnen hier in Herzberg wünschen sich von der Stadt mehr Informationen. „Wie viele Flüchtlinge kommen hierher? Mit welchen Vorstellungen kommen die zu uns?“, fragen einige von ihnen auf dem Markt. „Bevor etwas aufgebaut werden kann, wird aus Unwissenheit schon viel kaputtgemacht“, sagt ein Frau.

Ulrike Ofner ist heute auch zum „Raum der Gedanken“ gekommen. Sie kennt die Flüchtlingsunterkünfte von Herzberg gut, denn sie ist eine der wenigen HelferInnen, die sich zur Initiative „Herzberg hilft“ zusammengeschlossen haben. Die 65-Jährige hat früher als Hebamme gearbeitet, heute ist sie in Rente. Für sie ist das Helfen offensichtlich zu einer Herzens- und Lebensaufgabe geworden. Während sie spricht, wirft sie ihre Arme in die Luft und gestikuliert mit großen Gesten. Jeden Dienstag bietet sie in der evangelischen Gemeinde einen Anlaufpunkt für Geflüchtete an. Immer mittwochs besucht sie gemeinsam mit den anderen HelferInnen aus dem Ort die AsylbewerberInnen in ihren Unterkünften. Sie fragt dann nach, ob etwas gebraucht wird, oder begleitet bei Arzt- und Behördengängen. Zwei LehrerInnen an der Volkshochschule geben Deutschunterricht. Kino- oder Spieleabende werden veranstaltet, und beim ortsansässigen Fußballclub und Schachverein können die Flüchtlinge einmal die Woche mitmachen. Es wird mit angepackt, auch in Herzberg. Aber es sind nur einige wenige, die helfen.

Probleme mit Flüchtlingen? Bei uns doch nicht!

Ein Satz, der hier und heute oft wiederholt wird: Nein, in Herzberg gibt es keine Probleme. So oft, dass der Eindruck entsteht, dass nur eines über Herzberg nicht geschrieben werden soll: dass es hier ein Problem wegen der steigenden Zahl von Flüchtlingen gibt. Auch während der Recherche vorab hieß es auf Anfragen beim Landkreis: „Das ist ein hoch sensibles Thema, da müssen wir noch mal Rücksprache halten.“ Dem Landkreis Elbe-Elster seien keine Ausschreitungen, Kundgebungen oder Bürgerbeschwerden bekannt, die offene Ablehnung gegen Flüchtlinge erkennen ließen, heißt es. Was hinter verschlossenen Türen oder vorgehaltener Hand über Flüchtlinge gesagt wird, dass könne man natürlich nicht wissen.

Zu den negativen Stimmungen unweit der Kreisstadt, in Thalheim und Finsterwalde, will der Landkreis auf Rückfrage der taz keine Stellung beziehen. Dabei werden auch auf der Facebook-Seite „Elbe-Elster wehrt sich“, die seit vorigem Jahr 1.000 „Likes“ gesammelt hat, altbekannte Hetztiraden gepostet. „Man kann natürlich nicht ausschließen, dass es solche Tendenzen auch in Herzberg gibt. Wichtig ist aber, sich die Frage zu stellen: Wie geht man damit um“, sagt Ute Miething, die für das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ arbeitet, mit dessen Geldern auch das Projekt der Künstlerin aus Potsdam gefördert wird.

„Warum kann sich ein Flüchtling ein Handy leisten?“

Ein viel zu oft gehörter Satz

Bevor Kathrin Ollroge die Idee zum „Raum der Gedanken“ hatte, war ihre Kunst nicht politisch. Eigentlich ist die 46-Jährige Fotografin und begleitet mit ihrer Kamera Menschen in deren Alltag in ihren Wohnhäusern oder Kleingartensiedlungen. In Potsdam porträtierte sie etwa vier Jahre lang die BewohnerInnen einer Plattenbausiedlung. Als in dem grauen Betonklotz, der vom Abriss bedroht war, nach und nach Flüchtlinge einzogen, kam Ollroge die Idee zu ihrem neuen Projekt.

Denn die alteingesessenen BewohnerInnen, mit denen sie sprach, hatten viele Vorbehalte gegen die neuen NachbarInnen. Die Frage, ob sie heute durch ihr Projekt gewisse Ängste und Sorgen der Menschen besser versteht, kann die Künstlerin nicht eindeutig beantworten. Wahrscheinlich sei „verstehen“ dafür das falsche Wort. Aber besser nachvollziehen, ja, das könne sie schon. „Viele Menschen, mit denen ich im Laufe der Zeit gesprochen habe, wollen aber auch helfen“, sagt Kathrin Ollroge. Sie erzählt von einem Mann, der an einer Gruppe von Flüchtlingen vorbeigeradelt sei und gerufen habe: „Kommt morgen nicht zu spät zum Fußball!“ Das habe sie sehr berührt. Aber es fielen bei den Geschichten, die sie aufzeichnet, auch immer wieder Sätze, die sie nicht mehr hören könne. Wie zum Beispiel diesen: „Warum kann sich ein Flüchtling ein Handy leisten?“

Es sind inzwischen mehrere hundert Protokolle, die Ollroge in Herzberg und anderswo gesammelt hat. Die anonymisierten Erzählungen bilden eine Momentaufnahme von Stimmungen und Meinungen – und die Aufnahmen gleichen sich. Aussagen, wie Ollroge sie heute in Herzberg aufgezeichnet hat, gleichen dem, was sie auch in anderen Dörfern und Städten von den BewohnerInnen gehört hat. Im Wesentlichen, sagt sie, seien es oft ähnliche Befürchtungen, Fragen oder Ideen, die die Menschen bewegten.

Am Ende ihrer Reise will Ollroge das Material sorgsam auswerten – aus den gesammelten Erzählungen soll ein Buch entstehen. Für heute bleibt es erst mal bei einer Textdatei. Die Überschrift lautet: Herzberg, Markt.

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