zwischen den rillen: Der singende Vulkan
Helen: „The Original Faces“ (Kranky/Morr Musik/Indigo)
Eigentlich sollte Helen eine Thrash-Metal-Band werden. Zumindest war das der ursprüngliche Plan von Liz Harris, Jed Bindemans und Scott Simmons. „The Original Faces“, ihr Debütalbum, das beim US-Label Kranky erscheint, klingt aber so gar nicht nach Thrash, obschon raue, verkratzte Flächen und energiegeladene Rhythmusmuster grundlegende Merkmale sind. Auch an Harris’ bekanntes Ambient-Projekt Grouper erinnert die Musik bestenfalls durch ihren flüsternd-weichen Gesang, der stets hallverwaschen und ungreifbar aus einer entrückten Ferne klingt.
Genauso fehlt jede Nähe zum psychedelischen Sound der Band Eternal Tapestry, in der Bindeman hauptamtlich Schlagzeug spielt. Stattdessen stellt sich das Trio aus Portland/Oregon schlicht als „Pop Group“ vor. Oberflächlich lassen sich ihre zwölf kompakt kurzen, melodischen Songs auch durchaus als Dream-Pop mit den üblichen Songstrukturen hören. Gleichzeitig werden Erinnerungen wach an die Hochzeit von Garage-Punk und die verschrobenen Pop-Künstler, die in den Achtzigern und Neunzigern beim neuseeländischen Label Flying Nun Records versammelt waren.
Fließender Klang
Das analoge Tonbandrauschen der Produktion verschmilzt die komplett verzerrten Gitarren zu einem fließenden Klang, die Hi-Hat dominiert das Schlagzeug und macht es ebenfalls zum Klangteppich. Irgendwo dahinter schwebt, vielfach überlagert, Harris’ Stimme, und nur die warmen, nach vorne gemischten Bassmelodien verleihen dem verwaschenen Sound deutliche Struktur.
Ständig streift das Album die Schwermut, ohne je direkt hineinzufallen, balanciert Fragilität verlustfrei gegen Wucht aus und konfrontiert Melancholie mit subtilem Witz. Bei genauerem Hinhören karikiert „The Original Faces“ als Pop-Album sich in seinen gelungenen Brüchen schließlich selbst: Das eingängige „Covered in Shade“ mit Tamburin und vielen weiteren Sixties-Remineszenzen ist mit knapp einer Minute so kurz gehalten, dass es wie ein Vorschauschnipsel wirkt.
Mit dem Ausklingen von „Felt this Way“, das 2013 schon einmal als Single erschienen ist, wird ganz behutsam und kaum verständlich ein fremder Gesang hörbar, als hätte sich die ganze Zeit ein weiteres Stück hinter den Walls of Sound versteckt. Die zweite Single-Auskopplung, „Violet“, endet in einer rückwärts abgespielten und mystisch anmutenden Passage.
Überhaupt birgt „The Original Faces“ eine ganze Reihe Anreize für Spekulationen: „Als ich noch ein Kind war, habe ich mit Helen gesprochen“, teilt die Band ohne weitere Erklärung zur Veröffentlichung mit. Das ist aber nur die halbe Wahrheit zum Bandnamen, er soll auf das vermeintliche vierte Bandmitglied zurückgehen. Angeblich ist diese Helen verantwortlich für Backing Vocals, sie ist allerdings auf keinem der Bandfotos abgebildet.
Das Plattencover löst dieses Rätsel auch nicht völlig auf: Es zeigt den ausgebleichten Ausschnitt einer Fotografie des Wolken speienden Bergs, der verdächtig an den Mount St. Helens erinnert, einen nach wie vor aktiven Vulkan, der im an Oregon angrenzenden US-Bundesstaat Washington liegt. Dessen letzter explosionsartiger Ausbruch im Jahr 1980 schleuderte seinen Ascheregen bis ins 80 Kilometer Luftlinie entfernte Portland.
Der Text am Rand des Covers ist mit Tipp-Ex übermalt – übrig bleibt das Wort „Helen“.
TABEA KÖBLER
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