Bisschen Gin, bisschen Sex
Yum Yum Soup

TROST Na, auch die Winter-depression? Vergessen wir den Januar. Mit acht Suchtmitteln, die Glück versprechen

 Beschaffung: Früher: Hierzulande noch Luxusprodukt, als die Yum-Yum-Zehnerpackung in Bangkok längst für umgerechnet fünf Cent über die Ladentheke ging. Heute, Halleluja: Standardausrüstung beim Kiosk, im Regal bei den Gummitieren.

■ Trostfaktor: Mega. Nix los? Nix im Fernsehen? Nix im Kühlschrank? Yum Yum aufreißen, Gewürze, Fettaugen, Trockennudeln, alles rein, heißes Wasser drüber, innere Glückseligkeit.

■ Suchtfaktor: Ob des Ekelfaktors vor sich selbst und der andauernden Unsicherheit darüber, was man seinem Körper damit zuführt, nur so mittelhoch. Ist ja alles voll künstlich, voll biogegenläufig und ungesund und Glutamat. Echt mal: Eine Yum Yum reicht pro Stunde.

■ Schämfaktor: Also bitte. Wenn schon die Ghetto-Kids rohe Yum-Yum-Nudeln zum Mitternachtssnack in der U-Bahn deklariert haben. Spießerfaktor!

■ Nebenwirkungen: Trägheit. Müdigkeit. Unfähigkeit, aufzustehen. Serien-Sucht. ABS

Dr. Hauschka

■ Beschaffung: Inzwischen sehr leicht. Dank der aus dem Boden sprießenden Bio Companys und vergleichbaren Hallen gibt es die Produkte nicht mehr nur in Reformhäusern. Auch bei Karstadt wurde die präferierte Rosencreme letztens gesehen. Für 19 Euro. ■ Tostfaktor: Sie ist dick und cremig. Und riecht wie Omas Rosenstrauch, damals, im Garten. ■ Suchtfaktor: Man kauft halt keine andere mehr. Aber das ist keine Sucht, das ist Vernunft. Und wer sich die Creme jeden Morgen ins Gesicht massiert, spürt nicht mehr, wie Minusgrade nagelgleich Stirn, Wangen und Kinn pieksen. ■ Schämfaktor: Scham? Glamour! In Frauenzeitschriften steht immer, Julia Roberts würde sie auch benutzen. Ist allerdings nicht nachrecherchiert. Und wenn man es recht bedenkt: Das Gehalt gibt eigentlich keine 19 Euro für Gesichtscreme her. Dafür der Trostfaktor! ■ Nebenwirkungen: Gesichtshaut wie ein Baby-Popo. Ohne Scheiß. Neulich sagte jemand: „Du siehst aus wie 21.“ EMS

Schlaf

■ Beschaffung: Schlaf ist gratis und fast überall zu haben. Man bekommt ihn aber nicht fertig abgepackt, man muss ihn schon suchen.

■ Trostfaktor: Abends das Buch weglegen, den Laptop zuklappen, alles verpassen? Was dann passiert, ist ja wie tot sein! Wenn aber morgens der Wecker klingelt, wie schön wäre es dann, den Winter zu durchschlafen.

■ Suchtfaktor: Von einer gewissen Dosis zu einer bestimmten Tageszeit kommt man schwer los. Das weiß jeder Student, der ausnahmsweise mal um zehn Uhr vormittags zu einen Bewerbungsgespräch erscheinen musste. Zu dieser Tageszeit schläft er sonst. Also ist er jetzt bleich, ein wenig verwirrt, die Morgensonne schmerzt seine Augen und er zittert.

■ Schämfaktor: Zu wenig Schlaf kann Grund zur Scham sein. Wer keine Kontrolle über sein Schlafverhalten hat, raucht sicher auch zu viel, betrachtet Fett als Bereicherung seiner Ernährung und die Brüche in seinem Lebenslauf als roten Faden. Gern würde er ein wenig auf der Besprechungscouch dösen. Genau. Jetzt. Ob das auffällt?

■ Nebenwirkungen: Schnarchen ist eine an sich harmlose Nebenwirkung, führt aber zu einer Gefährdung durch Bettgenossen mit leichtem Schlaf und spitzen Ellbogen. Ansonsten sind gute Laune und ausgeruhte Gespräche zu erwarten. AKI

Raucherkneipe

■ Beschaffung: Irgendwo ist immer eine, die am Eck, das sind die Besten. Wer Eintritt zahlt, egal in welcher Gentrifizierungsecke, dem kann nicht geholfen werden. Wenig Licht ist gut. Schwere Vorhänge, viel Holz. So kommt der Rauch zur Geltung. Ein Barkeeper mit Fliege kann auch meistens gut mixen. Päckchen Zigaretten: fünf Euro. Funktioniert aber nur mit den üblichen Alkoholika. Gin Tonic also, für etwa sieben Euro. ■ Trostfaktor: Als Nichtraucher nachts an den Tresen setzen, vom Qualm der anderen umhüllt werden. Sich selbst eine anzünden (lassen!). Ziehen. Den Kopf leicht in den Nacken legen. Ausatmen. Langsam. Beobachten. Bloß nicht hektisch werden. Alles wird gut. ■ Suchtfaktor: Keiner. Man ist ja Nichtraucher. ■ Schämfaktor: Wer sich dafür schämt, bei einem Gin Tonic die Begleitung um Zigarette und Feuer zu bitten – um dann über Heimat, Sex und Albanien zu reden: Der hat den Winter nicht verstanden. ■ Nebenwirkungen: So gibt es gar keine: Vorm Schlafen Wasser trinken, bei Bedarf noch eine Ibuprofen – und bei empfindlicher Nase die Klamotten auf die Heizung legen. EMS

Tageslichtlampe

■ Beschaffung: In der weiten Welt des Internets und im gut sortierten Elektrofachhandel. Gute Geräte kosten schon mal 200 Euro.

■ Trostfaktor: Enorm. Mit 10.000 Lux gegen die Winterdepression! Endlich grelle, leuchtende Verstärkung im Kampf gegen Dunkelheit und Grauflächen am Himmel. Der beherzte Griff zum An-Schalter vermag einen in andere Welten versetzen. Eben noch durch Schneematsch, versetzt mit gefrorenem Hundekot, gelatscht, jetzt schon in einem sommerlichen Park sitzend mit einem Glas Rhabarbersaft-Schorle in der Hand (nicht vergessen, vorher die Heizung voll aufzudrehen). Vergangen sind Selbstmordabsichten und Weltuntergangsfantasien, Gram, Groll und Grummeln.

■ Suchtfaktor: Die Geräte sind in der Regel nicht wirklich transportabel, sodass man nicht unbedingt in Versuchung gerät, sich den Trumm um den Bauch zu schnallen, wenn man – leider – zum Einkaufen raus muss.

■ Schämfaktor: Sollen die Nachbarn ruhig denken, man habe ein Solarium im Wohnzimmer. Ansonsten: Für den Betrieb nur Öko-Strom verwenden.

■ Nebenwirkungen: Endorphinausschüttung, schubweise. MRE

Rihanna

■ Beschaffung: Tja. L. A.? Sagen wir L. A. Auch egal, bestimmt sieht sie heiß aus dabei. ■ Trostfaktor: Denkt man sich in einen Zustand hinein, in dem man es als gewöhnlich empfindet, dass eine Frau in Jeansshorts aufwacht, ein Mann im Unterhemd in einem Feld steht, ein Haus brennt, in dem ein Paar abwechselnd Streit und Sex hat, jedenfalls vor dem Feuer, dessen Flammen später auch auf den Mann und die Frau übergehen – so ist das in ihren Videoclips –, ja, dann spendet Rihanna Trost. ■ Suchtfaktor: Im Auto. In Brandenburg. Du. Rihanna. Vielleicht noch Eminem. What else is there. ■ Schämfaktor: Besser alleine hören. Oder spät, die Party ist eigentlich vorbei, der eine, der halt noch da ist, macht mit der einen rum, die halt noch da ist. Lionel Richie wird die Stimmung jetzt nicht aufhellen. Dafür braucht es Jay-Z, mindestens. Besser noch: Rihanna. ■ Nebenwirkungen: Alkohol, Kippen, Hunger, Kater, Gewissen, das Übliche. ABS

Nico Vanille

■ Beschaffung: Weder im Biofachgeschäft noch beim Trash-Discounter à la Penny, Aldi & Co. Das Frischkäsedessert der Firma Nicolait findet man nur in regulären Supermärkten (zum Beispiel bei Rewe).

■ Trostfaktor: Dieser ist von einem stark regressiven Unterstrom dominiert, schmeckt Nico Vanille doch ungefähr so, als ob man, wie in Kindertagen, die Schüssel mit dem übrig gebliebenen Kuchenteig „leer kratzen“ dürfte: cremig, fettig, vanillig. Da es sich um eine 500-Gramm-Packung handelt, liegt es nahe, sich gleich die ganze Schüssel reinzudrehen, am besten vor dem Fernseher. Danach fühlt man sich, nun ja: erfüllt.

■ Suchtfaktor: Geht so. Wer 500 Gramm von dieser Speise intus hat, steht bestimmt nicht noch mal auf, um eine weitere zu kaufen. Viel zu anstrengend.

■ Schämfaktor: Stellen Sie sich vor, Sie hätten den Kuchenteig ausgelöffelt, bevor ihn Ihre Mutter in die Backform füllen konnte. Und werden dabei erwischt.

■ Nebenwirkungen: Kaum. MRE

Tattoo

■ Beschaffung: Bedarf der Suche nach talentierten Tätowierern, fünfzig Euro bis sehr viel mehr in bar, vor dem Stechen 250 Milliliter Club Mate mit Wodka und einer Paracetamol und während des Stechens einen Menschen, der die Hand hält. Beim ersten Tattoo jedenfalls.

■ Trostfaktor: Nicht schlecht. Schon wegen des neuen Smalltalkthemas. Die Leute fragen nicht mehr: „Geht’s dir schlecht oder siehst du nur müde aus?“ Die Leute fragen: „Ist das ein Stempel oder ein Tattoo?“

■ Suchtfaktor: Omnipräsent, sobald die Folie ab, das Blut weg, das Wundsekret entfernt, das Wundsekret entfernt, das Wundsekret entfernt, die Kruste verheilt und die Farbe sichtbar ist. Ach, und sobald das Wundsekret entfernt ist.

■ Schämfaktor: Es muss sich ja nicht am Beckenboden verästeln. Und sonst vor allem niemandem gefallen, außer deiner Winterdepression.

■ Nebenwirkungen: Schmerz, der sachte beginnt und sich dann nach dem anfühlt, was es ist: das Zerstechen von Haut. ABS