Abschied vom Geld „Ecommony“-Projekte wirtschaften nach einer kapitalfernen Logik: Sie verschaffen Zugang zu Gegenständen und Dienstleistungen nach Bedarf
: Beitragen statt Tauschen

Kleidertausch am Gobanuskanal in Brooklyn Foto: Andy Kropa/ redux/ laif

Von Friederike Habermann

Es ist heiß im Zug, die Leute stehen auf dem Gang. Ein ­Abteil aber ist nur von zwei Männern besetzt: Sie haben die restlichen Plätze reserviert – und damit das Recht erworben, andere davon auszuschließen. Was ­legal ist, empört dennoch. Dabei entspricht die Möglichkeit, sich den Ausschluss anderer zu erkaufen, ohne etwas selbst so nötig zu brauchen wie sie, unserer Eigentumslogik. Wären die Plätze besetzt, wären sie nur in Besitz – das ist der Unterschied zum Eigentum. Dabei ist unser Verständnis von Eigentum als Recht zum Ausschluss anderer nicht älter als die Neuzeit. Und tatsächlich könnte die Fähigkeit, Eigentum wieder zu verlernen, für die Zukunft entscheidend sein.

„Ein neues Wirtschaftssystem – die kollaborativen Commons – betritt die ökonomische Weltbühne.“ Mit diesem Satz beginnt der Ökonom und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin sein neues Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft“: Technische Entwicklungen machten Produktion immer billiger, was dem Kapitalismus letztlich die Grundlage raube. Zudem dezentralisiere sich die Produktion. Die Einteilung in Eigentümer und Arbeiter sowie Verkäuferinnen und Konsumentinnen beginne, sich in „Prosumierende“ aufzulösen. Auf diese Weise könne sich „die ganze Menschheit in einem vernetzten globalen Commons“ zusammenschließen.

Commons sind der Schlüsselbegriff jüngerer Debatten über nichtkapitalistische Möglich­keiten des Wirtschaftens. Auch die Weltbank spricht von den Meeren oder dem Klima als ­“natürliche Commons“. Linux oder ­Wikipedia gelten als „commonsbasierte“ beziehungsweise „com­mons­schaffende Peerproduktion“, also Produktion unter Ebenbürtigen und ohne, dass Geld der Anreiz für den eigenen Beitrag ist. Diese Prinzipien (siehe Kasten) zeichnen sich in immer mehr Bereichen ab.

So lassen sich die rund 60 deutschen Umsonstläden, in denen Nehmen und Geben voneinander entkoppelt sind, als „Umverteiler“ von Besitz verstehen – und deshalb heißt der entsprechende Laden in Potsdam auch genau so: Wenn ein Gegenstand zu Hause nur noch unnütz herumsteht, ist er aus dem Besitz gefallen und sollte anderen zur Verfügung gestellt werden. Wer aber etwas gebrauchen kann, nimmt es aus dem Laden mit – und damit „in Besitz“.

Viele Praktiker handeln nach Commons-Prinzipien, ohne es so zu nennen

Vielen der Aktiven sind damit verbundene Prinzipien gar nicht bewusst – und dennoch lassen sich diese in weit verbreiteten Phänomenen wie öffentlichen Bücherschränken, dem Boom des Sharings oder auch sozialen Bewegungen wiederfinden. So wird bei Platzbesetzungen niemandem das Mitessen verwehrt, auf Tausch verzichtet und darauf vertraut, dass sich mehr oder weniger alle nach ihren Fähigkeiten und Prioritäten einbringen.

Luft, Wasser, Infrastruktur, Parks oder Wissen sind Gemeingüter, die niemandem privat gehören. Es gibt natürliche Commons wie die Allmendewiese, kulturelle wie Sprache oder Informationen, technische wie das Internet. Sie alle müssen durch soziale Vereinbarungen geschützt, gepflegt und gegen Einhegungs- und Privatisierungsversuche verteidigt werden. Das geschieht durch „commoning“ also vergemeinschaften oder pflegnutzen. Die US-Ökonomin und Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom wies nach, dass Gemeingüter dauerhaft genutzt werden können, wenn Beteiligte ihre Entnahmen selbstbestimmt und vertrauensvoll verabreden und Verstöße sanktionieren. Commons schaffen offene Zugänge, ermöglichen die Selbst- und Mitbestimmung der Beteiligten und ein neues Wirtschaften jenseits von Markt und Staat.

www.gemeingueter.de, commonsblog.wordpress.com

Die Vernetzung „Nichtkommerzielles Leben“ gehört zu jenen Zusammenhängen, in denen ganz bewusst so gehandelt wird: „Beitragen statt tauschen“ sowie offener Zugang zu den Gütern und Dienstleistungen sind die Grundsätze – nicht nur innerhalb der eigenen Reihen, sondern auch nach außen. Der „Karlshof“ in Brandenburg ist Teil dieser Vernetzung: Seit Jahren werden dort angebaute Kartoffeln in Berlin nach Bedarf verteilt. Getreide geht an das Backkollektiv „Rebäcka“ in Leipzig; von dort werden die fertigen Brote an Wohngemeinschaften tauschlogikfrei weitergereicht oder bei politischen Aktionen ausgeteilt. Spenden sind erwünscht, aber nicht Bedingung; die Vision besteht darin, Geld zu überwinden.

Dabei ist allerdings heutzutage mit dem zu rechnen, was in den Wirtschaftswissenschaften fälschlicherweise als „Tragedy of the Commons“ bezeichnet wird und richtigerweise „Tragik des Marktes“ heißen müsste: die Möglichkeit, über den eigenen Bedarf hinaus ­Güter, zum Beispiel aus dem Umsonst­laden, mitzunehmen und zu verkaufen. Oder schlichtweg, das eh knappe Geld lieber im Supermarkt einzusetzen statt tauschlogikfrei. Denn wer gerade kein Seminargelände mit angeschlossenem Badesee braucht, kommt in der Regel auch nicht auf die Idee, zum Beispiel für das solidarische Zentrum „Sissi“ in Biesenthal zu spenden.

Die auf Naturheilmedizin spezialisierte „Friedelpraxis“ in Berlin hat aus diesem Grund die erste Phase der bedingungsfreien Behandlungen nach drei Jahren für beendet erklären müssen. Wie es weitergeht, wird derzeit beraten. Wer osteopathische und chinesische Medizin weiterhin unabhängig vom Einkommen erhalten sowie den Heilpraktikerinnen ein nichtkommerzielles Tätigsein ermöglichen möchte, kann hoffentlich wieder zu Ende des Jahres eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnen. Tauschlogikfrei.

Die Autorinist Ökonomin und versucht sich im Beitragen