Unfreiwillige Selbstparodie

Doku „Die Illusion der Chancengleichheit“

Es war ja auch nicht zu erwarten, dass sich etwas ändern würde, nachdem die ARD vor drei Monaten Olli Dittrichs „Schorsch Aigner“-Film um halb zwölf Uhr nachts versendet hatte. Dittrich hatte darin nicht nur den Kaiser Beckenbauer, sondern auch die journalistischen Dokumentationen namentlich der ARD vorgeführt. Die ARD-Redakteure müssen da alle schon im Bett gelegen haben. Denn hätten sie damals hingeguckt, sie könnten nicht anders als das, was sie nun weiter ungeniert verkaufen, als – unfreiwillige – Selbstparodie begreifen.

Zum Beispiel den Film „Die Illusion der Chancengleichheit“ (22.45 Uhr, ARD). Man nehme: ein Thema, über das der Stab der Volksmeinung längst gebrochen ist und recherchiere entsprechend voreingenommen. Diesmal: der „Bologna-Prozess“, von dem wir alle längst wissen, dass er ein großer Misthaufen respektive Irrtum ist. Die Autorinnen Sigrid Born und Nicole Würth haben also „bei mehreren Ministerien für Interviews angefragt – und reihenweise Absagen kassiert“. Kann man ihnen da einen Vorwurf machen, wenn in ihrer an O-Tönen reichen Doku nicht ein einziger Befürworter der Hochschulreform vorkommt? – Die rhetorische Frage ist übrigens stilistisch unentbehrlich für diese Art Aufklärungs-TV: „Ist man ein besserer Mediziner, weil man auch in Geschichte oder Erdkunde eine eins hatte?“ „Ist das noch eine akademische Ausbildung, die auch zum eigenen Denken anregen soll?“ So unentbehrlich wie die Protagonisten, die das Abstrakte anschaulich machen. Im Bild eine junge Frau, wie sie sich schminkt. Der Off-Kommentar: „Dienstag halb sieben. Auch Isabel Schmidt-Hebbel muss ganz früh raus. […] Ausschlafen kennt ihre Generation nur noch aus Erzählungen von früher.“ Isabel Schmidt-Hebbel kann natürlich nichts für solche Klischeetexte und die wohlfeile Machart eines Films mit der Kernaussage: „Da war der Bildungsstandort Deutschland schon mal viel weiter.“ Die ARD auch. Vor genau drei Monaten. Jens Müller