„Die Masken fallen weg“

Trauerkultur Die Hamburger Bestatterinnen von Memento Mori sehen ihre Aufgabe vor allem darin, die Angehörigen zu stützen und einen guten Abschied zu ermöglichen

Wollen gut betreuen: Annegret Rumöller (l.) und Maren Repenning  Foto: Miguel Ferraz

Interview Petra Schellen

taz: Frau Rumöller, Frau Repenning, macht der Bestatterberuf nicht traurig?

Maren Repenning: Nein. Ich finde, dieser Beruf hat etwas sehr Kostbares, weil die Kontakte mit Menschen in der Phase, wo jemand aus diesem Leben geht, intensiv sind. Die Masken fallen weg. Und traurig? Nein. Man lernt das Leben mehr zu schätzen.

Weinen Sie nie mit?

Annegret Rumöller: Wir wollen mitfühlen, aber nicht mitleiden: Wenn ein Enkelkind bitterlich weint, weil es seinen Großvater verloren hat, dann berührt mich das, aber es bringt mich nicht aus dem Gleichgewicht. Und wenn wir mit den Angehörigen eine Feier vorbereiten und sie sich an schöne Momente erinnern, wird auch gelacht. Dann sind immer alle ganz erstaunt. Aber auch das passiert.

Repenning: Menschen, die jemanden verloren haben, möchten meistens Begleitung und Stabilität. Sie wollen Zuversicht und darin gehalten sein. Genau darin sehen wir unser Aufgabe: einen Raum zu schaffen, in dem alles sein kann.

Was macht Sie so stabil?

Repenning: Ich komme aus einem spirituellen Kontext, habe Trainings zur Sterbebegleitung gemacht und dabei vor allem eins gelernt: Die Trauernden wollen unsere Liebe haben. Nicht unseren Schmerz.

Rumöller: Auch ich finde es hilfreich, einen spirituellen Kontext zu haben – wobei ich ursprünglich aus dem katholischen Kontext komme. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, in dem der Tod selbstverständlicher Teil des Alltags war. Aus dem Wissen, dass der Tod dazugehört wie die Geburt, schöpfe ich viel Zuversicht.

Repenning: Ich stelle mir gern vor, dass das Leben ein Bahnhof ist. Wir sind irgendwann angekommen, irgendwann geht‘s weiter. Aber wir wissen nicht, wann und wie – und können nichts mitnehmen. Als Bestatterinnen versuchen wir die Menschen so gut wie möglich zu begleiten – unabhängig von dem, was wir selber glauben.

Welche Rituale bieten Sie?

Repenning: Wir arbeiten oft intuitiv, sammeln mit den Angehörigen Ideen für die Feier und versuchen herauszufinden, was passen könnte. Wir haben keine Vorgabe, wie es sein „muss“.

Maren Repenning

56, Pädagogin, Kauffrau und langjährige Kranken- und Berufsbegleiterin, hat 2003 „Memento Mori“ gegründet .

Rumöller: Wobei es natürlich Rituale gibt, die wir öfter vorschlagen. Gemeinsam eine Kerze für den Verstorbenen aufzustellen – das ist eine schöne Geste, die viele mögen. Ansonsten versuchen wir unvoreingenommen zu schauen: Was ist den Hinterbliebenen wichtig, was wäre den Verstorbenen wichtig gewesen: ein großes Fest oder eine leise Verabschiedung mit einem kleinen Ritual?

Wie individuell darf das sein?

Repenning: So persönlich wie möglich. Bei der Bestattung eines Menschen, der gern pflanzte, haben wir am Ende der Feier jedem eine Blumenzwiebel gegeben. Um solche authentischen Gesten zu finden, setzen wir während der Beratung manchmal die Verstorbenen in Gedanken mit an den Tisch.

Rumöller: Wir fragen dann: Was hätte der Verstorbene jetzt gesagt? Danach ändert sich manchmal etwas – vielleicht sogar die ganze Planung.

Seit neuestem haben Sie zusätzliche Räume gemietet. Genügen diese hier nicht?

Repenning: Hier in der Mozartstraße machen wir eher die Beratungen, hier sind Büro und Organisation. Die Räume drüben am Fleet im Hans-Henny-Jahnn-Weg sind unter anderem für die Versorgung der Verstorbenen, für Aufbahrungen, Abschiede und Feiern gedacht. Dort finden aber auch andere Veranstaltungen statt – mit Musik, Kunst und Meditation. Es soll ein Ort sein, an dem sich Leben und Tod begegnen können.

Rumöller: Wir hatten uns immer eine eigene Möglichkeit zur Kühlung gewünscht, um flexibler zu sein, falls die Angehörigen die Verstorbenen nochmal sehen möchten. Auf Friedhöfen ist das oft komplizierter und am Wochenende selten möglich. Das können wir jetzt sehr persönlich gestalten: Angehörige bekommen einen Türcode, sodass sie Tag und Nacht hineingehen können, wenn sie möchten.

Wünschen die meisten eine Aufbahrung?

Annegret Rumöller

53, Sozialarbeiterin, Projektleiterin und Malerin mit langjähriger Erfahrung als Krisenbegleiterin, ist 2011 bei Memento Mori eingestiegen.

Repenning: Nein, manche haben sich schon verabschiedet, andere haben Angst davor, dem Tod ins Gesicht zu schauen. Dabei ist die Vorstellung oft schlimmer als die Realität. Und alle, die es tun, sagen: Ja, es war gut. Auch wenn die Verstorbenen sich verändern. Manchmal sehen die Menschen schlafend aus. Und manchmal merkt man: Es ist nur noch die Hülle, und der Mensch, den wir kannten, wohnt schon nicht mehr darin. Dann fällt es auch leichter, sich von ihm zu verabschieden.

Spüren Sie, ob der Verstorbene noch im Körper wohnt?

Rumöller: Manchmal ist da schon ein Gefühl von Präsenz. Und manchmal verändert sich die Atmosphäre im Raum, sobald der Verstorbene hineingebracht wird.

Wie „schön“ machen Sie den Toten für die Aufbahrung?

Rumöller: So wenig wie möglich. Wir halten viel von Totenruhe. Abgesehen davon schauen und besprechen wir mit den Angehörigen, was hätte der Verstorbene gewollt? Sollte jemand geschminkt werden, der es ein Leben lang nicht tat? Einmal hatten wir eine Hundertjährige, die nie ohne Lippenstift aus dem Haus ging. Ihr habe ich auf Wunsch der Tochter Lippenstift angelegt. Das war stimmig. Aber grundsätzlich Körperöffnungen zu verschließen und zuzunähen halten wir nicht für sinnvoll und angemessen.

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