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Nichts Richtiges im Falschen

Ökonomiekritik Jonas Hassen Khemiris Theaterstück „≈ [ungefähr gleich]“ fragt am Thalia in der Gaußstraße, was mit einer Welt geschieht, die sich auf Kredit gründet und das Leben auf ein Spiel mit Zahlen reduziert

Gar nicht so leicht, den sozialen Aufstieg zu schaffen. All das Geld hindert eher, als das Leben zu erleichtern   Foto: Krafft Angerer

von Robert Matthies

Festen Boden: Nichts erhofft sich Mani sehnlicher, als endlich festen Boden unter den Füßen zu haben. Eine Festanstellung als Professor an der Universität, davon träumt der Ökonom, statt sich mit gelegentlichen Vorträgen zur Wirtschaftsgeschichte durchs Leben schlagen zu müssen. Der Suche nach Alternativen zum allumfassenden ökonomischen System hat er sich verschrieben, nach einem theoretischen Werkzeug, mit dem man die Märkte herausfordern kann.

Mit der Wirtschaftsgeschichte geht Mani dabei durchaus erfinderisch um, verändert hier und da auch mal eine Biografie, um seine Studenten zum freien Denken zu animieren. Weitaus weniger erfinderisch ist er, wenn es um die eigene Biografie, um Alternativen zur persönlichen Misere geht: Ein schlechter Rechen- und mäßiger Lebenskünstler, das ist er.

Endlich festen Boden unter den Füßen zu haben, das gönnt der schwedische Autor Jonas Hassen Khemiri seinem Antihelden nicht. Gleich zum Beginn seines aktuellen Theaterstückes „≈ [ungefähr gleich]“, das nun unter der Regie von Anne Lenk am Thalia in der Gaußstraße Premiere feiert, lässt er Mani stürzen: vom Dach eines Hauses, auf dem er als Bauarbeiter gearbeitet hat. Die Hoffnung auf eine Festanstellung hat sich endgültig zerschlagen und auch all die verzweifelt freigerubbelten Lose – allesamt Nieten. Mani verliert in mehrfacher Hinsicht den Halt.

Im Sturz erscheint nun alles möglich, all die Vorlesungen, die er noch halten wollte, auch der ersehnte Ausstieg aus dem System, der Tod als letzte Alternative. Ähnlich – oder auch: ungefähr gleich – enden alle Versuche, aus dem eigenen Leben auszubrechen, alle Strategien auch des sozialen Aufstiegs, die Khemiri in 26 Szenen versammelt und an ihren eigenen Widersprüchen scheitern lässt.

Für Martina etwa, Manis Lebensgefährtin, ist die gemeinsame Beziehung längst nicht mehr das, was sie sich wünscht. Statt sich mit ihrem „ökonomisch inkompetenten Mann“ auseinanderzusetzen, bastelt sie an einem hehren Plan: statt der verhassten, karrierefernen Gegenwart im Tabakladen, wo sie Rubbellose verkauft, eine Zukunft als Selbstversorgerin auf einem Bauernhof, genau durchgerechnet – und fantastisch aussichtslos. Im Weg steht sie sich dabei vor allem selbst. Den Wunsch nach Exklusivität und Luxus bekommt die Tochter aus gutem Hause einfach nicht aus sich heraus. Ihre ernüchternde Lösung: Sie beginnt Luxusartikel zu klauen – und fühlt sich endlich frei: nicht mehr abhängig von Arbeit oder Unterstützung durch die Eltern.

Andrej wiederum, aus einfachen Verhältnissen und chronisch knapp bei Kasse, interessiert sich für Marketing, glaubt an all die Hochglanzgeschichten vom sozialen Aufstieg. Tatsächlich aber arbeitet er sich immer wieder nur an Peter ab, dem Obdachlosen. So wie der will Andrej niemals werden, er ist schließlich ganz anders. Er sucht Arbeit und findet schließlich doch nur einen Aushilfsjob in dem Tabakladen, in dem er eben noch all die Briefmarken gekauft hat für die unzähligen Bewerbungen.

Khemiri bricht die Erzählung auf und ökonomische Fragen auf die Ebene der Erfahrung herunter

Komplex verschachtelt erzählt Khemiri die Geschichten von fünf Figuren, verknüpft sie, ohne dass die Betroffenen den Modus ihrer Verbindung erkennen können: eine Vergesellschaftung durch die Ökonomie und den Zufall. Denn die Krise des Ökonomischen stellt sich auf der Ebene der persönlichen Erfahrung vor allem als Krise der Ökonomie sozialer Positionierung dar. Antworten auf große Fragen liefert Khemiri ganz bewusst nicht, bastelt stattdessen ein Labyrinth kleiner Szenen und Interludien, bringt geschickt verschiedene Ebenen und Perspektiven zusammen, bricht die Erzählung immer wieder auf – und ökonomische Fragen auf die Ebene der Erfahrung herunter.

Dabei gehören die Fragen, die Khemiri, selbst studierter Ökonom ohne Uni-Abschluss, beim Schreiben umgetrieben haben, durchaus zu den großen: Wie verändern wir uns, wenn wir in einer Welt leben, die sich immer mehr auf dem Kredit gründet, dem Versprechen einer Zukunft, die für den Einzelnen immer unkalkulierbarer wird? Was passiert, wenn alles auf Zahlen reduziert wird, das Leben auf eine Rechenaufgabe, die sich nicht eindeutig lösen lässt? Und was verbirgt sich hinter all den Zahlen?

Es ist ein bitterer Einblick in die Absurditäten des Lebens im Kapitalismus, den Khemiri gibt. Für den Einzelnen ganz und gar hoffnungslos. Aber genau darin steckt dann zumindest eine Rechenaufgabe: Wenn das Leben eine Gleichung ist, die nicht aufgehen kann, bleibt irgendetwas übrig,wird sozusagen herausgerechnet. Und mit diesem Rest wird man in Zukunft rechnen lernen müssen.

Premiere: So, 13. 9., 19 Uhr, Thalia in der Gaußstraße; weitere Aufführungen: 16., 20., 24. + 25. 9.; 10., 11. + 24. 10, je 20 Uhr, So 19 Uhr

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