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Nachdrücklich auf nichts aus

AKTION The Der Künstler Endre Tót veranstaltet eine Null-Demonstration durch die Hamburger Innenstadt. Früher galt so was als nihilistisch

Als Sabotage des Systems wahrgenommen: Endre Tót Zero-Demo Budapest  Foto: Milán Jankovic

Niemand will eine Null sein. Und bei den Nullen auf dem Konto, kommt es sehr darauf an, ob sie vor oder hinter einer anderen Zahl stehen. Die Null hat kein gutes Image – und ist doch in der Mathematik unentbehrlich. Aber eine Demonstration anmelden und dann auf Tafeln und Bannern nichts als Nullen hochhalten? Die Frage, was haben die sich bloß dabei gedacht, dürfte zwar auch bei vielen ausführlicheren Demoforderungen auftauchen, die oft ebenso rätselhaft sind. Doch in einer Zero-Demo aufwändig nichts zu verlangen, ist irritierend.

Was da am heutigen Dienstagabend in den öffentlichen, ja politischen Raum geht, ist kein verspäteter Beitrag zum Alstervergnügen, sondern eine lange durchdachte Aktion des aus Ungarn stammenden Künstlers Endre Tót. Der heute 78-jährige konzeptuelle Künstler war ein exzellenter Maler, bevor er sich mit grundlegenden Fragen der Repräsentation befasste. Um 1970 hörte er auf zu malen, kommunizierte über Mail-Art und entwickelte eine eigene „Ästhetik der Abwesenheit“.

Seine Serie der „ungemalten Bilder“ und der Bilder mit Löchern, seine vergrößerten Ausschnitte leerer Stellen berühmter Bilder, seine mit „Regen“ aus Schreibmaschinen-Strichen übertippten Zeitungsfotos und Postkarten, seine Aktionen und subversiven Worttafeln ähneln zeitgleichen Tendenzen der Fluxus-Kunst im Westen.

1978 verließ Endre Tót Ungarn, seit 1980 lebt er in Köln. Seine erste im Westen realisierte Zero-Demo im nordrhein-westfälischen Viersen wurde 1980 als „nihilistisch“ angefeindet. Aber das war zu kurz gedacht. Es gibt eine lange kunsthistorische Herleitung solcher extrem reduzierten Haltungen:

Duchamps Theoretisierung der Kunst, die radikale Forderung nach Neuem, wie sie in der Geste des „Erased De Kooning“ von Robert Rauschenberg steckt (Rauschenberg radierte eine Zeichnung seines Maler-Vorbildes 1953 einfach aus) und die Ausleerung der Kunst durch die Maler der Monochromie mit ihren rein schwarzen, schlicht weißen oder strahlend blauen Bildern sind kunsthistorische Positionen, die letztlich zu einer Null-Aussage führen. Philosophisch paradox dabei ist, dass das ausdrückliche Nichts eben nicht nichts ist: Es ist gar nicht zu vermeiden, solche Leere mittels einem Etwas, also Worten oder Bildern zu bezeichnen, wenn auf sie verwiesen werden soll.

Die von Endre Tót so geliebten Nullen stehen für ihn für eine absolute Freiheit. Nicht nur nicht vereinnahmt werden in seinem Tun, sondern für das Recht kämpfen, sich auf keine Aussage einzulassen – das wurde im Ostblock vor 1989 als Sabotage des Systems wahrgenommen. Heute im Kunstbetrieb zwischen Sparvorgaben und Auktionsrekorden stehen die Nullen auch für eine Institutionenkritik.

Dabei ist eine Kunstaktion, die als Demonstration die Kunsthalle mit dem Galerienzentrum in der Admiralitätstraße verbindet, sicher auch selbstbezüglich. Gegen so viele andere Events in der Stadt macht sich die Kunst zwischen mit der Kraft des paradoxen Spektakels bemerkbar. Man will wahrgenommen werden und auf die Ausstellung mit teils noch nie gezeigten frühen Arbeiten des in Deutschland noch zu wenig bekannten Künstlers in der Galerie Mathias Güntner aufmerksam machen.

Aber es geht auch um die Demonstration einer produktiven Verweigerung. Denkt man an die nur aus Nullen und Einsen bestehenden Computercodes, liegt die Vorstellung nicht fern, dass bei vielen Problemen nur ein Rücksetzen auf den Nullpunkt hilft. Und obwohl Endre Tót kein unmittelbar politischer Künstler ist, dürfte er nichts dagegen haben, wenn eine „0“-Demonstration mitten in Hamburgs edelsten Einkaufsstraßen auch als konsumkritisch wahrgenommen wird. Hajo Schiff

18 Uhr , Hamburger Kunsthalle, „Mitläufer“ willkommen, Ende gegen 19:30 Uhr, Galerie Mathias Güntner, Admiralitätstraße 71

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