LeserInnenbriefe
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Krasses Missverhältnis

betr.: „Deutschland macht dicht“, taz vom 14. 9. 15

Das Thema Flüchtlinge wird immer mehr zum Dauerthema in der Politik und den Medien. Über die „Ursachen“ sind sich alle ziemlich einig. Kriege in allen Teilen der Welt vernichten die Lebensräume von Millionen von Menschen. Was auch die Anlässe für Kriege immer zu sein scheinen – Glaubenskonflikte, Machtinteressen, Sicherung der Einflusssphären etc. –, sie bleiben nur Anlass, sind aber weder Grund noch eigentliche Ursache.

Wer Krieg führt, braucht Waffen und Rüstungsgüter. Die Rüstungsindustrie, zumeist börsennotierte Unternehmen, machen weltweit einen jährlichen Umsatz von 500.000.000.000 Euro, und das mit steigender Tendenz. Damit erreicht die Rüstungsindustrie zirka zwei Drittel des Umsatzes der Nahrungsmittelindustrie für die gesamte Weltbevölkerung. Welch krasses Missverhältnis! Da die Rüstungsindustrie derzeit ungebremst auf Expansionskurs ist, sind neue zusätzliche Konfliktbereiche eher wahrscheinlich, als dass bestehende auf „diplomatischem“ Weg gelöst werden können.

Alle Beteuerungen der Politiker, sich für weltweiten Frieden einzusetzen, entpuppen sich als große Lüge. Der Hinweis auf den Verlust von Arbeitsplätzen, den Politiker gerne gebrauchen, wenn man ihnen vorhält, dass sie nichts gegen diesen untragbaren Zustand unternehmen, muss als unverschämt und inhuman empfunden werden. Sind die Arbeitsplätze in der Rüstungs­industrie, die nur dadurch gesichert werden können, dass hierdurch Millionen andere Menschen in Tod und Elend gestürzt werden, wirklich zu rechtfertigen?

Wenn sich verantwortungsvolle und von moralischen Grundsätzen geprägte Politiker in aller Welt zusammensetzen und massiven Druck ausüben, um die grenzenlose Expansion der Rüstungsindustrie möglichst zeitnah einzudämmen und in die Schranken zu weisen, besteht die Chance, dass sich etwas zum Besseren verändert und nicht weiter unschuldige Menschen aller Altersgruppen zu Opfern eines ungezügelten Finanzmarktkapitalismus werden. GEORG BOEHM, Putzbrunn

Integration mit Auflagen?

betr.: „Die unbarmherzigen vier“, „Für einen neuen Patriotismus“, taz vom 12. + 14. 9. 15

Anjes Tjarks (taz vom 14.9.) und Adam Krzemiński (taz vom 12./13.9.) stellen zu Recht fest, die Erfahrung zeige, dass Flüchtlinge in der Regel auf Dauer bleiben, und fordern deren zügige Integration. Bei beiden sind aber auch Aussagen zu finden, die diese Integration an Auflagen knüpfen, die die Einwanderer zu erfüllen haben: „Es gehe …um die Durchsetzung der christlichen und humanen Werte einer Demokratie, die allerdings auch die Flüchtlinge respektieren müsssten.“ (Krzemiński) und „Wir knüpfen daran die Bedingung, dass Freiheit, Pluralismus, Toleranz, Gleichberechtigung von Frauen und Homosexuellen geachtet werden.“ (Tjarks). Das allerdings kann höchstens ein Wunsch sein, denn das Hier-Bürger-Werden ist ein per se bedingungsloses Totalangebot: Wer in Deutschland Neubürger wird, hat jedes Recht, sich so zu positionieren, wie er möchte - und natürlich hat er damit auch das Recht, zum Beispiel die Gleichberechtigung von Frauen und Homosexuellen neu verhandeln und rückgängig machen zu wollen und sich dafür Mehrheiten zu suchen. Vielleicht ist das Wissen darum ein Grund dafür, dass auch linke und emanzipierte Gruppen mit einem leicht mulmigen Gefühl auf die weiter ansteigende Zahl potentieller Neubürger schauen, die sich auf den Weg nach Deutschland machen. Und auch Anjes Tjarks’ und Adam Krzemińskis „Bedingungen“ klingen vor diesem Hintergrund ein bisschen wie das Pfeifen im Wald.

MARKUS HOLT, Haltern am See