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„Das Doppelte von nichts“

Forschung Professor Walter Krämer warnt davor, sich von Statistiken ins Bockshorn jagen zu lassen

Thomas Dupont
Walter Krämer

67, lehrt Wirtschafts- und Sozialstatistik an der TU Dortmund und hat populärwissenschaftliche Bücher veröffentlicht.

taz: Herr Krämer, vertrauen wir heutzutage zu sehr auf Statistiken?

Walter Krämer:Auf gewisse zu sehr, auf andere zu wenig. Die Leute suchen sich die Zahlen aus, die ihnen passen. Was das eigene vorgefertigte Weltbild bestätigt, wird gerne zur Kenntnis genommen, alles Andere wird verdrängt.

Warum ist es so schwierig, Statistiken richtig zu lesen?

Es gibt viele Statistiken, die sind einfach zu lesen, etwa die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik: 81 Millionen. Dazu muss man nicht viel Statistik können. Das ist eine Zahl, die man sofort interpretieren kann. Auch das mittlere Einkommen – 40.000 Euro – ist leicht interpretierbar.

Beim mittleren Einkommen stellte sich aber vielen schon die Frage, was das ist.

Stimmt. Ich hatte schon mit vielen Kollegen Krach, ob der Durchschnitt besser geeignet ist oder der Median, der auf der Mitte zwischen den hohen und den niedrigen Einkommen liegt.

Worin besteht das Problem, statistische Risiken richtig einzuschätzen?

Viele Menschen kapieren nicht den Unterschied zwischen absoluten und relativen Risiken. Es gab einmal einen groß aufgemachten Artikel: „Cholera-Gefahr verdoppelt sich.“ Vorher waren binnen zwei Jahren drei Menschen an Cholera erkrankt, nachher sechs. Für die Kranken war das zwar dramatisch, aus dem Blickwinkel der Allgemeinheit aber nichts. Das Doppelte von nichts bleibt nichts.

Vertrauen wir zu Unrecht auf Statistiken, auch wenn es um politische Entscheidungen geht?

Immer wenn es um Risiken und Gefahren geht, ist es angebracht zu überlegen: Was wird da eigentlich gemeldet. Man muss schauen, wie die Zahlen absolut aussehen und sich nicht auf Prozentzahlen verlassen.

Oft steckt der Teufel ja nicht in der Rechnung, sondern in der Datenerhebung.

Sobald man keine Vollerhebung macht, sind haufenweise Fehlerquellen eingebaut. Ein Beispiel sind die US-Präsidenten-Wahlen 1936, wo 30 Millionen Amerikaner befragt wurden. Es kam heraus: Mit einem Riesen-Abstand gewinnt der Republikaner Landon. Gewonnen hat der Demokrat Roosevelt. Die Statistiker hatten alle Amerikaner befragt, derer sie habhaft werden konnten. Das waren jene, die einen Führerschein hatten oder ein Telefon. Die Roosevelt-Anhänger hatten beides nicht.

Interview: Gernot Knödler

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