Klimaschutz wird totgequatscht

KLIMA Die Umweltdiplomatie läuft langsam heiß: Ministertreffen in Paris, und bald soll es einen Verhandlungstext geben. Aber alles steuert bisher auf 3 Grad Erwärmung zu

3 Grad Erwärmung: mehr Waldbrände, wie derzeit an der Westküste der USA Foto: Max Whitaker/reuters

von bernhard pötter

BERLIN taz | Drei Monate vor der Klimakonferenz von Paris zeichnet sich ein Ergebnis ab, das den Klimawandel weit stärker eskalieren lässt als bislang gehofft und geplant. Die bisherigen Ziele der UN-Staaten bringen bis 2100 nach einer unabhängigen Studie bis zu 3 Grad Celsius globale Erwärmung statt der 2 Grad, die Politik und Wissenschaft als Obergrenze festgelegt haben. Gleichzeitig werden die Verhandlungen außerhalb der UN-Konferenz intensiver: Am Sonntag und Montag treffen sich etwa 50 Minister und Staatssekretäre in Paris, um in kleinem Kreis Lösungen für die drängendsten Fragen zu suchen. Diesmal stehen Finanzen, die Anpassung an den Klimawandel und Schadenersatz auf der Tagesordnung.

Bei diesen „Ministerials“ wird offener geredet, weil sie unverbindlich sind – anders als die UN-Zwischenkonferenz letzte Woche in Bonn. Dort einigten sich die 196 UN-Staaten nach wieder sehr zähen Verhandlungen immerhin darauf, dass die beiden Vorsitzenden der Konferenz einen neuen Verhandlungstext vorlegen sollen. Bis Anfang Oktober sollen der Algerier Ahmed Djoghlaf und der US-Dipolmat Daniel Reifsnyder aus den 83 eng bedruckten Seiten voller Klammern und Widersprüche einen Text machen, an dem die Verhandler ernsthaft arbeiten können. Die UN-Diplomaten treffen sich in dieser Form nur noch einmal für fünf Tage im Oktober, bevor Ende November die Konferenz von Paris beginnt. In Bonn zeigten sich die beiden Vorsitzenden ebenso optimistisch wie die Chefin des UN-Klimasekretariats Christiana Figueres: „Wir sind voll im Zeitplan“, hieß es offiziell.

Zweifel an den Ergebnissen der Verhandlungen schürt dagegen ein Bericht von vier Forschungsinstituten, die die Klimapläne der Länder bis 2030 („INDC“) untersucht haben. Bisher liegen die Pläne von 58 Ländern vor, die etwa 70 Prozent der weltweiten Emissionen verantworten. Die „Climate Action Tracker“ kalkulieren nun, dass die Pläne auf eine globale Erwärmung von 2,9 bis 3,1 Grad hin­auslaufen. Von den 15 größten Verschmutzern bekamen nur zwei (EU und China) die Note „ausreichend für 2 Grad“, während sieben „unangemessen“ und sechs „mittelmäßig“ erhielten. Die Pläne aus Russland, ­Kanada und Neuseeland sind nach den Daten der Forscher mit der aktuellen Klimapolitik ihrer Länder nicht zu vereinbaren. „Wenn diese Pläne in Paris für 2030 vereinbart werden, werden 2 Grad praktisch unmöglich und 1,5 Grad unerreichbar“, sagte Bill Hare von Climate Analytics, einem der Forschungsinstitute.

Bis Anfang Oktober soll es endlich einen Verhandlungstext geben

Auch für Jochen Flasbarth, der als Staatsekretär im Bundesumweltministerium am „Ministerial“ teilnimmt, reicht die Summe der Vorschläge noch nicht aus. „3 Grad ist besser als 4 oder 5 und schlechter als 1,5 oder 2 Grad“, sagte er der taz. „Wir ­wollen in diesem Jahrhundert zur vollständigen Dekarbonisierung kommen und werden wohl zu langsam starten. Wir müssen im Rennen schneller werden.“

Druck dazu soll es im Dezember von den obersten Chefs geben. Bei der Konferenz in Paris sollen die Staats- und Regierungschefs am ersten Tag erscheinen, plant die französische Regierung. So sollen sie verhindern, dass alle Entscheidungen bis zum Ende aufgeschoben werden. Und die Regierungschefs stören die Beamten dann auch nicht bei der Detailarbeit.Meinung + Diskussion