zwischen den rillen: Hypnose neben der Krawattenfabrik
Beach House: „Cherry Depression“ (Bella Union/PIAS/Cooperative)
„Wir sind eine laute Band“, behaupten Beach House und wenden sich damit gegen das ihrem Sound gern verpasste Etikett Dream Pop. Oder hat der eigene Erfolg das in Baltimore beheimatete US-Duo etwas zu sehr überwältigt? Sein drittes Album, „Teen Dream“, landete 2010 auf den Spitzenplätzen vieler Jahresbestenlisten. Der Nachfolger, „Bloom“, schaffte es gar bis auf Platz 7 der US-Charts. Das war dann wohl zu viel für die sensiblen Gemüter von Sängerin und Keyboarderin Victoria Legrand und Gitarrist Alex Scally.
„Return to Simplicity“ lautete ihre Devise für das neue Werk, „Depression Cherry“, das im kirschroten Samtcover daherkommt. Was genau damit gemeint sein soll, bleibt unklar, denn von Simplizität kann bei der Musik nicht die Rede sein. Ein bisschen beruhigter ist sie allenfalls geraten.
Aufgenommen wurden die Songs diesmal tief im Süden, in Louisiana. Das könnte dazu beigetragen haben, dass Legrand und Scally stärker mit Rhythmen experimentieren. Luftige Synthie-Streicher beim Auftaktsong „Levitation“ geben gleich eine chillige Atmosphäre vor. Nach somnambulem Schweben durch sich auftürmende Klanggebirge fühlt sich das an, typisch für Beach House.
Ein Hauch Mid-Tempo-Latin im Rhythmus sorgt für Wellness. Mit den Worten „You and me“ beginnt der Song im Text und macht schnell klar: Hier geht es, wie insgesamt auf diesem Album, das kirschknallige Depression verheißt, um Trips zweier verwandter Seelen, die einander mitnehmen.
Wie Fragmente aus dem surrealen (Alb-)Traumtagebuch. Das Outro des ersten Songs gerät überraschend metallisch, und schon der zweite Song fordert den Hörern ganz entschieden mehr ab: Psychedelische Chöre gesellen sich zu Rockriffs und harmonisch verschobenen Orgelsounds.
„Sparks“ ist der beste Song des Albums. Danach kann es fast nur noch beruhigter weitergehen: „Space Song“ mit dominantem Elektro-Bass und futuristischem Blubbern klingt zu sehr nach Weltraumplastik. „Beyond Love“ beginnt mit Lyrics, die die Bezeichnung Poesie auch verdienen: „The first thing that I do/Before I get into your house/Im gonna tear off all the petals/From the rose thats in your mouth.“ Legrand gibt sich dabei einem rhythmischen Sprechgesang hin. Für Beach-House-Verhältnisse fast schon Rap. Das Duo rockt nicht mehr so eingängig, wie es dazu live durchaus imstande ist.
Polyphone Loops
Dafür klingen sie jetzt umso künstlerischer. Die Beats wirken bewusster gebaut. Dabei arbeiten die beiden Hypnosekünstler nach ihrem inzwischen bewährtem Strandhaus-Minimalismus: Legrand legte dem androgynen Gesang repetierende Orgelintervalle und -akkorde zugrunde. Die unverwechselbare, grandios geloopte Stimme ist dabei in den Höhen ganz erstaunlich klar.
Das Tempo des Albums wird im Mittelteil gedrosselt: „10:37“ und „PPP“ lullen einen mit ihren polyphonen Loops fast ein. Aber auch hier sollte man Beach House nicht unterschätzen. Sie arbeiten ganz unprätentiös am Zersetzen von Popkonventionen. Die Glass-geschulten Minimal-Repetitionen und Variationen bauen sich behutsam auf, statt im 30-Sekunden-Wechsel Strophe und Refrain zu liefern. Basis von Beach House sind nach wie vor neben Legrands Wahnsinnsstimme ihre hymnischen Keyboardharmonien. Die sind nicht in einer Strandhütte, sondern einer alten Lagerhalle in Baltimore entstanden. Neben einer Krawattenfabrik. Die Kirschdepression ist eine, die sich erst allmählich nach der Blüte (der Vorgänger hieß „Bloom“!) einstellt, wenn in der finalen Elegie, „Days of Candy“, das Universum mit dem lyrischen Du zum Abschied davonreitet.
Dream Pop ist in seinen Untiefen eben nicht frei von Nachtmahren. STEFAN HOCHGESAND
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