„Wir sind ein Lebensmittel“

Das Kulturmagazin „Aspekte“ wird 40 Jahre alt – Moderator Wolfgang Herles über Konkurrenzdruck, Nischenfernsehen und die aus der Mode gekommene Patent-Pädagogik der 70er (22.15 Uhr, ZDF)

INTERVIEW HANNAH PILARCZYK

taz: Herr Herles, das ZDF hat „Aspekte“ in letzter Zeit probeweise von seinem Stammsendeplatz verdrängt, um mit Kerner und Krimi Quote zu machen. Das hat nicht geklappt. Können Sie jetzt in Ruhe den 40. Geburtstag Ihrer Sendung feiern?

Wolfgang Herles: Nein, schließlich gibt es auch für eine Kultursendung kein Naturschutzgebiet mehr. Wir konkurrieren weiterhin mit dem, was parallel zu uns läuft, und das sind momentan Talkshow, Kino, Krimi, Comedy – also die ganze Palette der dröhnenden Unterhaltung. Wir sind in jeder Minute im Wettbewerb mit den anderen. Dass dies mittlerweile auch für Kulturmagazine gilt, musste ich erst lernen.

Als Sie vor sechs Jahren als Redaktionsleiter antraten, kündigten Sie an, „Aspekte“ „politischer, provokanter und populärer“ zu machen. Alles erreicht?

Wir sind politischer und populärer geworden, ohne uns gemein zu machen mit dem Trend zur Unterhaltung. Ich wünschte aber, wir wären noch provokanter. Dieser Teil des Dreisprungs ist am wenigsten gelungen.

Woran liegt das?

An unserer Mentalität als Kulturjournalisten. Wir sind zu oft zu begeistert – immer noch. Wenn wir bestimmte Bücher oder Filme vorstellen, dann tun wir das ja vor allem, weil wir sie wichtig und damit auch gut finden. Darüber hinaus kann man in der Kultur aber auch kaum mehr provozieren – was nicht sehr für ihren Stellenwert spricht. Heute ist auf der Opernbühne oder zwischen zwei Buchrücken alles möglich. Mehr als ein indigniertes Achselzucken können Sie nicht erregen.

Ist das ein Zeichen für mehr Toleranz gegenüber der Kultur?

Nein, die Leute sind gleichgültiger, nicht toleranter geworden. Ich glaube, dass die immer schlechter werdende Allgemeinbildung mittlerweile eine Auswirkung auf das Publikum hat. Wenn man in der Schule nicht mehr das Notenlesen lehrt, dann braucht sich auch keiner zu wundern, wenn sich klassische Musik nicht mehr verkauft und die Konzertsäle leer bleiben.

Ihr Vorgänger Reinhart Hoffmeister hat Anfang der 70er noch einen Erziehungsauftrag für „Aspekte“ angenommen und Handlungsanleitungen für Bürgerinitiativen gegeben.

Das war Zeitgeist, heute erscheint einem das wie Satire. Aber Aufklärung im Sinne von Erhellen – da würde keiner von uns Journalist sein wollen, wenn wir das nicht noch irgendwo als Motiv hätten. Nur wollen wir es nicht mehr so platt machen. Die Patent-Pädagogik von damals funktioniert einfach nicht mehr.

Stichwort Zeitgeist: Gibt es nach 2.000 Sendungen und 16 Moderatoren noch so etwas wie einen Kern von „Aspekte“?

Für mich sind die Schnittstellen der Kultur – verstanden als die klassischen Genres wie Kunst oder Musik – mit Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft der Kern der Sendung. Wo diese Schnittstellen sind, da wird Kultur plötzlich brisant und auch interessant: Was passiert mit diesem unseren komischen Land? Warum ist das so schwierig mit Ost und West? Das sind unsere eigentlichen Themen.

Als Prime-Time-Kulturmagazin müssen Sie auch für Quote sorgen. Würden Sie manchmal gern wie „Kulturzeit“ auf 3sat aus der Nische Fernsehen fürs Fachpublikum machen?

Nein, im Gegenteil. Als ich vom Politikjournalismus zur Kultur kam, musste ich mich erst daran gewöhnen, so wenig Zuschauer zu haben. Da fühlte ich mich ohnehin schon in der Nische. Heute weiß ich, dass wir in keiner Nische sind, sondern ein Massenpublikum erreichen. Außerdem gibt es „die“ Kulturszene auch gar nicht. Die Leute, die Sie auf der Kunst-Biennale in Venedig treffen, haben nur wenig gemein mit denen, die zu den Salzburger Festspielen fahren. Weil sie all diese Milieus bedienen müssen, werden Sie nicht so schnell betriebsblind. Das schätze ich sehr.

Was muss passieren, damit Kultur im Fernsehen wieder zum Thema wird?

Vor allem muss damit aufgehört werden, Kultur zum Luxus zu erklären. Vielmehr sollten wir anerkennen, dass Kultur in schwierigen Zeiten zu einer Art Lebensmittel werden kann.

Das aber immer weniger Leute konsumieren.

Ja, aber um im Bild zu bleiben: Da geht es der Kultur wie Bio-Lebensmitteln. Die sind teurer, weil sie qualitätsvoller produziert werden.

„Aspekte“ als Öko-Fleisch?

Eher als Feinschmecker. Es ist ein großer Fehler der Bio-Bewegung, ihre Produkte nicht über den Genuss zu verkaufen. Hochküche war immer ökologisch – anders kriegen Sie die Qualität nicht hin. Gleiches gilt für die Hochkultur und Kulturmagazine.