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Unbeeindruckt vom Hype

PIONIER Der Ausnahmemusiker Hans-Joachim Roedelius gilt als Vorreiter von Krautrock, Techno und experimenteller Elektronik. Das Haus der Kulturen der Welt widmet ihm ein Festival über sein Lebenswerk

Kompromisse in Bezug auf kommer­zielle Absichten hat er nie gemacht

von Philipp Rhensius

Geschichten über Musik sind immer auch Geschichten über Inspiration und Helden. Ob Pop, Techno oder Klassik: Jeder Stil hat seine eigenen Mythen, oft verbunden mit einzelnen Personen, die dann im Matthäus-Prinzip-Verfahren zu Helden gemacht und anschließend Pioniere genannt werden.

In der elektronischen Musik, deren Ursprünge im Gegensatz zur gut dokumentierten Klassik überwiegend nur in nichtschriftlicher Form aufgearbeitet sind, ist der deutsche Musiker Hans-Joachim Roedelius einer der wohl meist erwähnten Namen, wenn von Krautrock, Techno oder experimenteller Elektronik die Rede ist. Mit seinen außerweltlichen elektronischen Klängen, mit denen er in den späten 60er Jahren den Sound von Bands wie Kluster oder Harmonia prägte und die er selbst mal als „anarchistisch musikalischen Aktionismus“ bezeichnete, beeinflusste er eine illustre Reihe von Musikern. Während sich bereits vor rund 40 Jahren Pop-Ikonen wie David Bowie und Brian Eno und heute viele Techno-Künstler auf Roedelius berufen, gilt der gebürtige Berliner zudem als Pionier eines der eigenwilligsten Musikstile der 70er Jahre: des Krautrocks. Mit seiner Band Harmonia, die neben dem gebürtigen Berliner aus Dieter Moebius und dem ehemaligen Kraftwerk-Mitglied Michael Rother bestand, schrieb er dann endgültig Musikgeschichte. 1976 erschien das legendäre Album „Harmonia ´76 – Tracks and Traces“ mit Brian Eno.

Mit dem Festival „Lifelines #4: Roedelius“, zu dem Konzerte ebenso gehören wie ,Diskussionen und Filme, beteiligt sich das „Haus der Kulturen der Welt“ (HKW) am kommenden Wochenende an der Legendenbildung. Und weil die ja heute, in der Zeit des fehlenden Zukunftsglaubens, nie nur eine Hommage, sondern immer auch ein melancholischer Rückblick auf eine verloren geglaubte Zeit ist, wird es mitunter auch um sie gehen: Die gute alte Zeit, in der Musik noch kein „Abfall“ (Matthew Herbert), sondern ein politisch geradezu umkämpfter Raum war. Ein Labor für alternative Lebensstile, die den reaktionären Wirtschaftswunder-Biografien im konservativen Nachkriegsdeutschland etwas entgegensetzten.

So war das von Roedelius und seinem späteren Cluster-Kollegen Conrad Schnitzler und Dieter Moebius 1967 gegründete „Zodiak Free Arts Lab“, das sich im selben Gebäude in Kreuzberg befand wie später das HAU-Theater, eine Anlaufstelle für abtrünnige Künstler, die nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten suchten.

Sie nutzten das „Lab“, das irgendwas zwischen Proberaum, Galerie und Konzertclub war, um jenseits musikalischer und ästhetischer Konventionen zu experimentieren. Inzwischen gilt der Ort, der auch Heimat für Bands wie Agitation Free, Tangerine Dream und Künstler wie Klaus Schulze war, als Inkubationsraum für den Krautrock.

Roedelius selbst ist vom vermeintlichen Hype um seine Person stets unbeeindruckt geblieben. Seit einigen Jahren lebt er abgeschieden in Baden bei Wien und musiziert unablässig weiter, mittlerweile bevorzugt auf dem Klavier, und veröffentlicht Platten, etwa zusammen mit Stefan Schneider von To Rococo Rot. Seine elektronischen Geräte, die seine zum Nerdtum neigenden Fans wohl im Schlaf aufzählen könnten, sind für ihn nichts anderes als funktionale Instrumente. „Ich weiß oft nicht mal, wie die Geräte heißen, geschweige denn, wie sie funktionieren“, sagte er vor einigen Jahren mal in einem Interview. Er sei nichts anderes als ein „Benutzer. Kompromisse in Bezug auf kommerzielle Absichten hat er nie gemacht, was auch daran zu erkennen ist, dass seine Frau als Lehrerin den Großteil des Einkommens generierte.

Und da Bescheidenheit sogar im alltäglichen Social-Media-Präsenz-Porno noch eine Tugend ist, ist Roedelius in der elektronischen Musikszene sehr beliebt. Im HKW treffen im Rahmen an vier Tagen etliche Weggefährten aufeinander, um dem Ausnahmemusiker auf unterschiedliche Weise Tribut zollen. Neben einer Podiumsdiskussionen zum Thema „Gesamtkunstwerk Roedelius“ und einer Installation von Brian Eno wird Richard Fearless von der britischen Band Death In Vegas zusammen mit dem Wiener Produzenten Peter Kruder ein Tribut-DJ-Set spielen. Dass der geehrte, inzwischen 81 Jahre alt, vom Musikmachen noch lange nicht genug hat, zeigt das Programm, in dem er persönlich für vier Konzerte angekündigt ist.

Ein Highlight ist das Eröffnungskonzert, bei dem er unter anderem mit dem Bandkollegen Stefan Schneider, dem US-amerikanischen Ambient-Musiker Tim Story und dem britischen Pianisten und Charlie-Chaplin-Sohn Christopher Chaplin auftreten wird. Es ist jedenfalls erfreulich, dass sich das als Diskursplattform etablierte HKW daranmacht, Roedelius einen Platz im immer unübersichtlicher werdenden kollektiven Gedächtnis zu sichern.

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