American Pie
: Das Flugzeug aus Down Under

FootballRugbystar Jarryd Hayne wechselt die Disziplin und heuert in der NFL bei den Francisco 49ers an – geht das gut?

Bei den einst ruhmreichen San Francisco 49ers läuft es momentan gar nicht rund. Gut zwei Wochen, bevor die National Football League (NFL) in ihre neue Saison startet, ist der Verein, den Legende Joe Montana einst zum Aushängeschild der Liga machte, ein Scherbenhaufen. Chefcoach Jim Harbaugh verließ den Verein kurzfristig mitsamt dem Großteil seiner Assistenztrainer, die Star-Verteidiger Patrick Willis und Chris Borland verabschiedeten sich ebenso überraschend in den Ruhestand, Kollege Anthony Davis will ein Jahr aussetzen, und mit Aldon Smith wurde ein anderer wichtiger Akteur entlassen, nachdem er bereits zum dritten Mal mit Alkohol am Steuer erwischt wurde. Kein Experte gibt der Mannschaft eine Chance, die Playoffs zu erreichen, und zu allem Überfluss sieht die Spielstätte der 49ers nach jedem Training aus wie ein Kartoffel­acker: Dass der Klub seit der Eröffnung des neuen Stadions im vergangenen Jahr die Probleme mit dem Rasen nicht in den Griff bekommt, ist nun Running Gag bei den täglichen Pressekonferenzen in der Saisonvorbereitung.

Der einzige Lichtblick kommt von der gegenüberliegenden Seite des Planeten und war bis vor wenigen Tagen noch vollkommen unbekannt in den USA. Das hat sich am vergangenen Wochenende radikal verändert. Da legte Jarryd Hayne im Testspiel gegen die Dallas Cowboys eine sensationelle Vorstellung hin: Der 27-Jährige schnappte sich das Lederei und hetzte wie ein Wiesel über den Platz. Wenn ihn dann doch ein Verteidiger stellen konnte, brach er Tackles oder zerrte an ihm hängende Gegenspieler noch ein paar Meter über den lädierten Rasen. Nicht schlecht für jemanden, der erst das zweite Football-Spiel seines Lebens bestritt.

Aus dem Nichts kommt dieser Hayne nicht. In seiner Heimat Australien war er einer der größten Stars im Dreizehner-Rugby. Bei der WM 2008 führte er Fidschi, das Land seines Vaters, überraschend bis ins Halbfinale, ein Jahr später wurde er zum weltweit besten Spieler seines Sports gewählt, und 2013 war er der überragende Mann des Turniers, als er mit Australien Weltmeister wurde. Wegen seiner Schnelligkeit und weil er erfolgreiche Versuche mit ausgebreiteten Armen feierte, bekam der 1,88 Meter große und 100 Kilogramm schwere Modellathlet den Spitznamen „Hayne Plane“.

Nun ist das Flugzeug in den USA gelandet. „Ich könnte in Australien mehr verdienen als hier, aber es war immer mein Traum, in der NFL zu spielen. Ich will wissen, ob ich es auch im Football schaffen kann“, beschrieb Hayne seine Motivation, einen Millionen australische Dollars schweren Vertrag ruhen zu lassen, um in San Francisco anzuheuern für ein vergleichsweise bescheidenes Honorar.

„Es war immer mein Traum, in der NFL zu spielen. Ich will wissen, ob ich es auch im Football schaffen kann“

Jarryd Hayne

Trotz seiner Meriten glaubte kaum jemand daran, dass Hayne tatsächlich den großen Sprung bewältigen könnte. Denn Football ist zwar Ende des 19. Jahrhunderts aus der Urform des Rugby, die englischen Einwanderer mitgebracht hatten, an den Universitäten des US-amerikanischen Ostens entstanden. Aber seitdem haben sich die beiden Sportarten extrem auseinander­entwickelt. Auf der einen Seite ein fließendes, zum Großteil improvisiertes Spiel, auf der anderen kurze, bis ins Detail choreografierte Spielzüge. Einmal tragen die wandelnden Muskelpakete bloß Trikots und Shorts, einmal stecken sie in Polsterungen und Helmen.

Sicher, es gäbe schon ein paar Unterschiede, so Hayne, aber grundsätzlich seien „beide Sportarten doch vor allem ziemlich körperlich“. Tatsächlich vermittelt Hayne – zumindest in den Testspielen – den Eindruck, er hätte schon von Kindesbeinen an Football gespielt. Jim Tomsula, neuer Chefcoach der 49ers, ist von ihm überzeugt: Er sei „ein herausragender Athlet – zumindest im offenen Raum“. Eine wichtige Einschränkung: Wenn es in zwei Wochen ernst wird und die Räume auf dem Spielfeld enger, dann wird Jarryd Hayne wirklich beweisen müssen, ob der Wechsel in eine andere Welt tatsächlich so einfach ist. Thomas Winkler