Nachhaltig modisch

FASION Berlin hat sich längst zur Modemetropole gemausert. Auch an talentiertem Nachwuchs fehlt es nicht. Gleich zehn Modeschulen bieten Studiengänge an

Berlin macht sich: 3.500 Modeunternehmen beschäftigen fast 20.000 Erwerbstätige Foto: Fabrizio Bensch/reuters

von Hannah Schünemann

Es ist offiziell: Berlin ist nicht mehr die Stadt der Modemuffel. Wenngleich die deutsche Hauptstadt immer noch von dem ein oder anderen namhaften Modeguru für Sandalenfetisch und Sweatshirtchic belächelt wird, krönen die jüngsten Entwicklungen Berlin zur Modemetropole: „Im Jahr 2000 war Berlin noch modisches Niemandsland“, erklärt Jürgen Schepers von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. „Heute ist Berlin Standort von über 3.500 Modeunternehmen mit fast 20.000 Erwerbstätigen. Ich denke, da kann man von einer Modemetropole sprechen.“

Dieser Aufstieg ist auch der Fashion Week zu verdanken, die seit 2007 zweimal jährlich stattfindet und dabei über 200.000 Besucher anlockt. Mit Messen, Modenschauen und diversen Nebenveranstaltungen wird die internationale Aufmerksamkeit für den Berliner Modemarkt geschärft. Das schafft offensichtlich Selbstbewusstsein: Immer mehr junge Designer in Berlin wagen die Gründung eines eigenen Labels. Aber auch andere Optionen tun sich auf: „Aktuelles Thema ist Fashion-Tech und auch da spielt Berlin ganz vorn mit“, sagt Jürgen Schepers. „Mit der gleichnamigen Konferenz ist hier ein Format entstanden, das Fashion, Technologie und Wear­ables verbindet. Kreative, Techniknerds und Wissenschaftler denken gemeinsam über die Zukunft der Mode nach.“ Typisch für die Start-up-Stadt Berlin ist, dass hier eben auch im Modebereich an möglichst innovativen Konzepten gebastelt wird. So entstehen neue Agenturen in Vertrieb und Öffentlichkeitsarbeit, Produktionsdienstleister und diverse Internetversand­unter­nehmen.

Supermarché und Hirschkind (alles von der Mütze bis zur Socke): Wiener Str. 16, 10999 Berlin; www.hirschkind.de, www.supermarche-berlin.de

sommergold (Frauen ab 30): Planufer 93A, 10967 Berlin; www.sommergold.eu

Slowmo (saisonunabhängige Mode für Frauen und Männer): Libauerstr. 10, 10245 Berlin; www.slowmo.eu

Mayer.Peace Collection (spirituelle Mode aus recyceltem Material): Große Hamburger Straße 1, 10115 Berlin; www.mayer-berlin.com

Lila Lämmchen (Kindermode): Dunckerstraße 79, 10437 Berlin; www.lilalaemmchen.de

DearGoods (vegane Mode für Frauen und Männer): Schivel­beinerstr. 35, 10439 Berlin; www.deargoods.com

Kaska Hass (Braut- und Abendmode): Anklamer Straße 38, 10115 Berlin; www.kaskahass.de

NIX (nachhaltige Mode für die urbane Frau), Oranienburger Str. 32, 10117 Berlin; www.nix.de

Wesen (sportliche Mode): Weserstr. 191, 12045 Berlin; www.­treches.com/label.html (hs)

Und auch an talentiertem Nachwuchs fehlt es nicht. Gleich zehn Modeschulen bieten Studiengänge an: von Design über Management und Marketing bis zum Modejournalismus. Dazu kommen viele Quereinsteiger. So wie Nicole Jäckle, die ursprünglich nur für sich ein paar T-Shirts bedruckte und inzwischen mit ihrem Label Hirschkind selbstständig ist. „Ein eigenes Label hatte ich nie geplant. Ursprünglich bin ich Psychologin. Das was ich heute mache, ist langsam und mit vielen Zufällen entstanden“, erzählt sie und lacht. Per Siebdruck schmückt sie T-Shirts und Hoodies mit selbst fotografierten Motiven und verkauft diese zusammen mit anderen Marken im eigenen Laden Supermarché – alles unter dem Motto: fair produzierte Biomode.

Bis tatsächlich alles fair hergestellt werden konnte, war es jedoch ein langer Weg. Doch Jäckle betont, dass sich die Arbeit gelohnt habe: „Es geht um Transparenz und Glaubwürdigkeit. Das Bewusstsein hat sich vor allem in den letzten zwei Jahren stark verändert. Viele Leute wollen keine Massenproduktion mehr kaufen“, sagt Jäckle. Im Supermarché können die Kunden nun bei jedem Stück erfahren, wo und wie es produziert wurde. Dass Berlin den Trend zur Nachhaltigkeit mit­entwickelt und verbreitet habe, glaubt auch IHK-Experte Jürgen Schepers. „Daraus ist ein national und international wachsender Markt geworden, der kaum noch an den Ökostil der 80er oder 90er erinnert, sondern sich vielmehr modisch und in stimmigen Design präsentiert.“

Es geht um Glaubwürdigkeit. Viele wollen keine Massenproduktion mehr

Nachhaltige Konzepte, wie Recycling, Ankauf von Rohmaterialien aus der Region, transparente Produktionsbedingungen haben zweifellos verstärkt Einzug in die Berliner Haute Couture gehalten. Bereits seit 2009 gibt es als Bestandteil der Berlin Fashion Week den Greenshowroom und die Ethical Fashion Show, zwei Modemessen, die sich auf nachhaltig produzierte und ökologische Mode spezialisiert haben. Bis es ein angemessenes Angebot an nachhaltiger Mode für jedermann gibt, dürfte aber noch einige Zeit vergehen. „Es gibt noch viel zu wenig Läden mit fair produzierter, ökologischer Mode. Das liegt auch an der eher geringen Kaufkraft in Berlin“, meint Nicole Jäckle vom Supermarché.

Astrid Krauß-Till, die sich mit ihrem Label sommergold einen Traum erfüllt hat, sieht das ähnlich. Sie entwickelt fair produzierte Bekleidung, die sich nicht jedem Modewechsel unterwirft. „Die Berliner Modebranche zieht viele kreative, idealistische Menschen an, die bereit sind, für wenig Geld zu arbeiten – arm aber sexy“, so Krauß-Till. „Viele Designer können sich gerade so selber über Wasser halten.“ Das sei ein Grund dafür, dass der Verbraucher immer noch ein Überangebot an billigen Klamotten vorfinde. Auf der anderen Seite müssten jedoch auch die Verbraucher ihr Kaufverhalten noch stärker verändern. Obwohl Berlin das Modemuffel-Image los ist, gibt es also noch viel zu tun, um die modische Kreativität in der Stadt auf ethisch vertretbarem Wege umsetzen zu können.