Boomtown Berlin

Kreative Jedes fünfte Berliner Unternehmen ist in der Kreativbranche tätig. Sie erwirtschaftet 10 Prozent des Gesamtumsatzes in der Hauptstadt. Jeder elfte Berliner Erwerbstätige arbeitet in diesem Bereich

Das Notebook gehört zur Grundausstattung der kreativen Macher Foto: Heinz M. Jurisch/Ullstein Bild

von Heide Reinhäckel

Mehr Unternehmen, mehr Umsatz, mehr Jobs: Der letzte Berliner Kreativwirtschaftsbericht vom Juni 2014 attestiert der Hauptstadt einen anhaltenden Boom in der Kreativökonomie. Ob in der Werbe-, Musik-, Filmwirtschaft, auf dem Kunstmarkt, im Verlags- und Pressewesen oder im Bereich Software-Entwicklung: Inzwischen ist jedes fünfte Berliner Unternehmen in der Kreativbranche tätig. Sie erwirtschaftet stolze 10 Prozent vom Gesamtumsatz in der Hauptstadt, was sich auch bei den Arbeitsplätzen widerspiegelt. Jeder elfte Berliner Erwerbstätige arbeitet mittlerweile, ob selbstständig oder angestellt, im Kreativsektor. Somit ist die Kreativökonomie längst keine urbane Legende der solistischen Laptop-Poser mehr, sondern zu einem wichtigen Wirtschafts- und Tourismusfaktor avanciert.

Doch wie schafft man es, in der Branche erfolgreich zu sein? Reichen gute Idee, Ambitionen, Risikobereitschaft und Gespür für Trends aus? Thorsten Harms, Kulturwissenschaftler und Betriebswirt, berät in einer mit Partnern gegründeten Agentur Klienten aus der Krea­tivwirtschaft. Der Business Coach, der auch im Auftrag der Berliner Investitionsbank tätig ist, kennt die Erfordernisse der Branche gut: „Auch in der Krea­tivwirtschaft braucht man ein Geschäftsmodell und eine Zielgruppe. Viele Kreative arbeiten aber gern für sich und haben den Markt zu wenig im Blick.“

Doch so, wie sich der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller von der „Arm, aber sexy“-Attitüde seines Vorgängers verabschiedet hat, passt sich auch die Kreativbranche den gegebenen Bedingungen an: Sie ist internationaler und professioneller geworden, setzt weiterhin auf Digitalisierung als Megatrend und versammelt große Player neben kleinen Start-ups, Arrivierte wie Newcomer. „Seit gefühlten vier bis fünf Jahren ist die Stadt auch extrem international geworden. So kann ich hier vor Ort mit ausgezeichneten internationalen Regisseuren arbeiten“, sagt Betti Esser-Wehling von Betti Berlin, Agent for Filmmakers. Die Agentur vertritt genreübergreifend Regisseure aus dem Bereichen Dokumentar-, Werbe- und Spielfilm. „Die Werbe- und Spielfilmbranche zusammenzubringen war bei der Gründung 2010 noch nicht selbstverständlich. Nach fünf Jahren hat sich gezeigt, dass diese Nische richtig war für mich“, so die Agenturgründerin, die auf Risikobereitschaft und dem Gespür für neue Trends setzte.

Aber auch ein Blick auf die Entwicklung in den unterschiedlichen Branchen kann bei der Karriereplanung in der Kreativwirtschaft hilfreich sein. Nach dem dritten Berliner Kreativwirtschaftsbericht verzeichnete der Bereich Games und Software-Entwicklung die größte Umsatzsteigerung sowie die meisten neuen Arbeitsplätze. So beschäftigt beispielsweise das etablierte Spieleunternehmen Wooga, das Onlinespiele für soziale Netzwerke und mobile Anwendungen fürs Smartphone entwickelt, mittlerweile 250 Mitarbeiter aus 40 Nationen. Auch die Ausbildungssituation in der Gamebranche ist laut einer Studie des Medienboards Berlin Brandenburg mit zwölf Ausbildungsangeboten sehr gut, darunter beispielsweise die Games Academie und die FHTW Berlin.

Die Branche ist internationaler und professionellergeworden

Berater Thorsten Harms hält noch einen wesentlichen Faktor zum Bestehen in der Kreativbranche für wesentlich: „Man sollte Netzwerke pflegen und sich Mitstreiter suchen.“ Eine junge Kreuzberger Agentur hat dies sehr wörtlich genommen: 2009 gründeten 30 Absolventen des „Design Thinking“-Studiengangs am Hasso-Plattner-Institut der Universität Potsdam eine eigene Firma mit dem Anspruch, die Arbeitswelt zu revolutionieren. „The Dark Horse. Agentur für Innovationsentwicklung“ hilft seither großen Firmen bei der Gestaltung von Innovationsprozessen. „Wir sind erfolgreich, weil wir interdisziplinär aufgestellt sind und iterativ arbeiten, uns also schrittweise einer exakten Lösung annähern – außerdem arbeiten wir hierarchiefrei, so Monika Frech von The Dark Horse. „Wir haben uns seit der Gründung mehrfach gehäutet, das braucht man auch, wenn man glaubwürdig Innovation als Produkt verkaufen will.“

Die jungen Macher von The Dark Horse scheinen einiges richtig gemacht zu haben im Haifischbecken Kreativitätswirtschaft: gute Ausbildung, breite Aufstellung sowie Kollaboration und Digitalisierung. Die Anpassung der Arbeit an die veränderte Lebenswelt, der sich die Dark-Horse-Gründer als Angehörige der Generation Y verschrieben haben, haben sie auch in ihrem Buch „Thank god it’s monday“ beschrieben. Auch das ist ein Merkmal der Berliner Kreativwirtschaft: Sie erfindet sich immer wieder neu.