Chirac eröffnet Gedenkstätte im Elsass

Ein Museum auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Struthof erinnert an Widerstandskämpfer und Deportierte im Zweiten Weltkrieg. In Anwesenheit von Überlebenden ruft der französische Präsident zu persönlichem Engagement auf

AUS STRUTHOF DOROTHEA HAHN

Struthof, das Konzentrationslager im Elsass, in dem zwischen 1941 und 1943 mindestens 22.000 junge Männer umgekommen sind, hat seit gestern ein zusätzliches Museum. Neben dem Stacheldraht am Eingang zu dem Lager, in dem die Nazis „Résistants“ aus ganz Europa für immer zum Schweigen bringen wollten, erinnert jetzt das „Europäische Zentrum des deportierten Widerstandskämpfers“ an ihr Engagement. Zur Eröffnung sagte Frankreichs Präsident Jacques Chirac vor mehreren hundert Überlebenden des KZs und vor Schulklassen aus Deutschland und Frankreich: „Nicht vergessen, wachsam sein und engagiert bleiben, das ist die beste Ehrung der Opfer.“

Die 61 Jahre nach der „Libération“ Frankreichs eröffnete Gedenkstätte aus Metall und Beton ist ein Ort mit strenger Ästhetik. Und fast ohne Farben. Vom Eingang führt eine Rampe hinunter zum „Kartoffelkeller“, den KZ-Gefangene bauen mussten. Rund um diesen Bunker herum ist im Halbdunkel mit Hilfe von wenigen symbolischen Fotos aus ganz Europa, Plakaten, Flugblätter und Briefen sowie kurzen erklärenden Texten die Geschichte erzählt: vom Ende des Ersten Weltkriegs über den Aufstieg von Nationalsozialismus, Faschismus und Krieg, den Widerstand bis hin zur Befreiung. Die Dauerausstellung endet mit dem europäischen Aufbau in Gestalt der EU. Letztere beteiligte sich mit 20 Prozent an den Kosten.

Das 60 Kilometer von Straßburg auf 800 Meter Höhe liegende KZ Struthof war in der Nähe eines Steinbruchs gebaut worden. Es war auf politische Gefangene „spezialisiert“. Als einziges KZ in Frankreich hatte es eine – im Verhältnis zu den osteuropäischen KZs kleine – Gaskammer. Die Vernichtung in Struthof fand vor allem durch Kälte, Hunger und harte Arbeit statt. Mehr als 13.000 der 51.600 Menschen, die in dem KZ gefangen waren, stammten aus Polen, die zweitgrößte Gruppe kam aus der Sowjetunion, die drittgrößte aus Frankreich. Für Struthof dachten sich die Nazis die Kategorie „NN“ aus – als Abkürzung des Codenamens „Nacht und Nebel“. „NN“-Gefangene waren Männer, die als „Terroristen“ galten. Im KZ Struthof wurde ihnen in 20 Zentimeter großen Lettern „NN“ auf die Hosenbeine geschrieben. Den anderen Häftlingen war es verboten, mit ihnen zu sprechen.

André Dalbergue war 22, Musikstudent und versorgte Widerstandskämpfer im Untergrund mit Lebensmittelkarten, als er in Paris verhaftet wurde. Im KZ Struthof erhielt er die Nummer 17.247 und ein rotes Dreieck. Kurz bevor die französische Résistance im Herbst 1944 das KZ Struthof befreien konnte, wurde er mit tausenden anderen Lagerinsassen in Viehwaggons nach Dachau deportiert.

Pierre Claude war erst 17 Jahre alt, als er in einem Ort in der Nähe von Verdun verhaftet wurde. Als Geisel, wie sämtliche männlichen Ortsbewohner zwischen 17 und 47 Jahren. Sein Vater ist nie zurückgekommen. Er musste, nachdem auch er bei der Räumung von Struthof nach Dachau deportiert worden war, die Leichen seiner bei der Arbeit gestorbenen Mitgefangenen vergraben. „Ich bin froh, dass wir uns heute mit Deutschland so gut verstehen“, sagte Claude gestern am Rand der Zeremonie.

Die ursprüngliche in den 50er-Jahren eröffnete Gedenkstätte für das KZ Struthof war manchen im Elsass nicht recht. 1976 zerstörte eine autonomistische Gruppe bei einem Anschlag eine der Lagerbaracken. „Vor wenigen Jahren wollte niemand hören, was damals passiert ist“, sagt ein Überlebender des KZ. „Nachdem in diesem Jahr dutzende von Regierungschefs in Warschau an das Kriegsende und das Ende der KZs erinnert haben, ist die Lage anders.“

Roger Frey wurde als Flüchtling vom Reichsarbeitsdienst in das KZ Struthof gebracht. Als Elsässer galt er damals als „Volksdeutscher“. „Das war eine europäische Angelegenheit“, sagt der heute 74-Jährige. „Daran müssen die nachfolgenden Generationen erinnert werden. Auch wenn wir nicht mehr sind.“