Armee beendet das Geiseldrama in der Wüste

ALGERIEN Der Sturm auf die Gasförderanlage In Amenas fordert zahlreiche Opfer. Überlebende berichten von der Suche nach „Kreuzfahrern“. Die Angreifer hatten sich offenbar lange in einem Ausbildungslager in Libyen auf den Überfall vorbereitet

Die Kämpfer waren jung und sprachen in unterschiedlichen fremden Dialekten

AUS TRIPOLIS MIRCO KEILBERTH

Mehr als 55 Tote sind die Bilanz der Geiselnahme in der algerischen Sahara, die die Armee am Samstag gewaltsam beendet hat – 23 Geiseln und 32 Angreifer. Zuvor hatten die Entführer damit begonnen, die verbliebenen Geiseln hinzurichten. Nach Angaben des algerischen Innenministeriums konnten die Sicherheitskräfte seit Beginn der Aktion am Mittwoch vergangener Woche 685 algerische und 107 ausländische Arbeiter auf dem mehrere Quadratkilometer großen Gelände in Sicherheit bringen.

Die 32 Angreifer stammen aus mindestens sechs verschiedenen Ländern, laut Radio Algerien nur drei aus dem Land selbst. Libysche Sicherheitskreise aus dem nahe der algerischen Grenze gelegenen Ort Ghat bestätigen der taz, dass auch ein aus dem Südwesten Libyens stammender Mann unter den Angreifern war. Bei den getöteten Kämpfer der islamistischen „Miliz der Maskierten“ wurden zum Teil auch europäische Reisedokumente gefunden.

Die Miliz von Mokhtar Belmokhtar hatte am Mittwoch die erfahrene und gut gerüstete algerische Armee mit ihrem Überraschungsangriff und modernen Waffen überrumpelt. Nachdem die Angreifer Algerier von Ausländern getrennt hatten, erschossen sie ohne zu Zögern mehrere japanische Angestellte.

„Erst als ich ihnen mehrfach bestätigte, dass ich algerischer Muslim bin, ließen sie mich gehen“, berichtete ein schockierter Ingenieur. „Die Kämpfer waren jung und sprachen in unterschiedlichen fremden Dialekten.“ Der Augenzeuge zitierte die Kämpfer mit den Worten: „Wir haben nichts gegen euch, geht. Nur die Kreuzfahrer werden wir umbringen und den Amerikanern eine Lektion über den Islam erteilen.“

Die Aussagen der mittlerweile in ihre Heimatländer ausgeflogenen Arbeiter der norwegischen Statoil und der British Petroleum Company legen nahe, dass es leicht zu Hunderten von Toten hätte kommen können. „In dem Bürogebäude, in dem wir waren, wurden alle erschossen, die sich nicht in Möbeln oder sonst wo verstecken konnten“, berichtete ein Brite.

Während die Sucharbeiten in der Raffinerie bei In Amenas weitergehen, bereiten sich Sicherheitskräfte und Ölfirmen auf weitere Angriffe in der Region vor. Besonders rund um die Förderanlagen in Libyen wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt.

Da die neue libysche Armee zu unerfahren ist, um den Süden des Landes zu sichern, übernehmen revolutionäre Milizen wie die Libya Derra Patrouillen. Sie gelten aber selbst als konservativ religiös und arbeiten mit den in der Gegend lebenden Tubu nicht zusammen. „Ich bezweifle zudem, dass sie Jagd auf Islamisten machen würden“, sagt ein Journalist aus der Stadt Murzuk in der Sahara.

Auffällig ist, dass die libyschen Behörden offenbar von dem Training islamistischer Gruppen in drei Ausbildungslager bei Sebha nahe der algerischen Grenze wussten, aber nicht einzugreifen wagten.

Der ehemalige Geheimdienstchef des Übergangsrates bestätigte die taz-Informationen über die Existenz der Lager gegenüber CNN. Rami El Obeidi berichtet von Kämpfern aus mehreren Ländern, die sich seit über einem Jahr auf ihren Einsatz in Mali vorbereitet hatten. Nach Angaben von Obeidi finanzieren extremistische Milizen aus Libyen diese al-Qaida nahestehenden Kampfgruppen. Sie seien von der ägyptischen Grenze bis nach Mali aktiv und sehen ganz Nordafrika als ihr Operationsgebiet an. „Mit dem Einsatz der Franzosen in Mali ist nun die Büchse der Pandora geöffnet worden“, sagt Obeidi.

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