Ganz kurz und knapp

Filmschaffen Die Herausforderung bei einem Kino Kabaret besteht darin, innerhalb von zwei Tagen einen Kurzfilm zu produzieren. Gerade trifft sich die internationale Kurzfilmszene dafür in Berlin, im Moviemento sind die Ergebnisse der Workshops zu sehen

Ganz schnell einen kurzen Film machen: Das ist die Aufgabe beim Kino Kabaret „Kino Berlino“, bei dem auch der Regisseur Tsungai Garise aus Sambia (Mitte) teilnimmt Fotos: Christian Schlodder

von Christian Schlodder

Lassen Sie uns ein kleines Spiel spielen: Denken Sie bitte jetzt an einen Film, den Sie in letzter Zeit gesehen haben, jemanden, der darin mitgespielt hat, im besten Falle noch, wer ihn gedreht hat. Ist Ihnen etwas eingefallen? Natürlich ist Ihnen das. Jetzt denken Sie bitte noch einmal an all das, nur dass es diesmal ein Kurzfilm sein muss. Und?

Wahrscheinlich wird es da schon dunkler, vermutlich sogar ganz schwarz. Dabei sehen wir nahezu jeden Tag Kurzfilme in Form von Musikclips, Werbung oder den viralen Filmchen in sozialen Netzen, inklusive den omnipräsenten Katzenvideos. Jeder mit einem Smartphone, der die Videofunktion entdeckt hat, kann ein Kurzfilmer sein – und befindet sich damit in illustrer Gesellschaft. Die ersten Filme der Geschichte waren Kurzfilme und sind damit richtungweisend für die Entwicklung einer ganzen Kunstsparte gewesen. Da die Einstiegsvoraussetzungen relativ gering sind und sich eigene Ideen dank der fortschreitenden Entwicklung der Technik mittlerweile als Low-Budget- oder gar No-Budget-Produktionen verwirklichen lassen, erlebt das Spartengenre fernab vom Massenpublikum beharrlich an Aufwind.

Bei einem Kino Kabaret geht es darum, innerhalb weniger Tage einen Kurzfilm zu produzieren. Eines der größten Treffen Europas ist dabei „Kino Berlino“, das in seiner nun zwölften Auflage noch bis zum 6. September stattfindet. Insgesamt etwa 100 Filmschaffende aus aller Welt sind dabei.

Wer noch Lust hat, selbst einmal Regie zu führen, andere Aufgaben an einem Set zu übernehmen oder sich gar traut, sein schauspielerisches Talent unter Beweis zu stellen, findet weitere Informationen unter www.kinoberlino.de.

Die filmischen Resultate der zwei Runden werden heute und am Samstag um 22 Uhr im Kreuzberger Moviemento am Kottbusser Damm gezeigt. Der Eintritt beträgt 5 Euro.

Nun ist es vielleicht nicht überraschend, dass gerade Berlin eine Adresse für den nationalen und internationalen Kurzfilm ist, da die Stadt schon immer als Magnet für all jene fungiert hat, denen man das lose Prädikat „Künstler“ anhängen kann. Beeindruckend allerdings ist, wie groß und vielschichtig die Szene ist – ohne dass sie von der breiten Masse wahrgenommen wird. Dabei gibt es etwa 70 Filmfestivals in der Stadt. Fast alle zeigen auch Kurzfilme, einige davon ausschließlich wie das im November stattfindende „Interfilm“, bei dem jedes Jahr 7.000 Beiträge eingereicht werden, von denen es dann 500 zur Aufführung schaffen.

Fernab von Hollywood-Blockbustern und Sonntagabend-­Fernsehkrimis gibt es also einen Mikrokosmos aus unzähligen Akteuren, die so vielschichtig sind, dass man eigentlich wenig aussagt, wenn man von „der Kurzfilmszene“ spricht. Den meisten gemein ist, dass sie mit ihrer Arbeit eher im Verborgenen wirken, ohne einen richtigen Markt zu haben.

Besondere Herausforderung

„Wenn man es einmal probiert hat, ­entdeckt man das unglaubliche Suchtpotenzial. Für mich sind Kurzfilme wie ein endloser Drogentrip“

Kurzfilmer Dave Lojek

„Mit der Entwicklung des Films entstand die Filmindustrie, deren Ziel industrielle Produkte sind. Der Großteil der Kurzfilme verfolgt dieses Ziel nicht und kann daher viel freier in seiner Gestaltung sein“, sagt Dave Lojek. Der 39-Jährige ist einer der bekanntesten deutschen Akteure des nicht-kommerziellen Kurzfilms und betont mehr als einmal, dass er der meistgespielte Kurzfilmregisseur der Welt sei. Mehr als 150 Filme hat er schon gemacht. Nebenbei betätigt er sich als Veranstalter des gerade stattfindenden Kino Kabarets „Kino Berlino“.

Kino Kabarets sind eine besondere Form aus Workshop, Schaffensprozess und Vorführung. Die besondere Herausforderung dabei ist, innerhalb weniger Tagen ein Drehbuch zu schreiben, den Film aufzunehmen, zu schneiden und zu vertonen, damit er am Ende auf der großen Leinwand gezeigt werden kann.

Wie lang ein Kurzfilm dabei sein darf, um überhaupt noch als Kurzfilm durchzugehen, ist Stoff für hitzige Debatten. Allgemeiner Konsens ist, dass er nicht länger als 60 oder sogar 30 Minuten sein sollte. Bei Kino Berlino liegt die Grenze bei zehn Minuten. In zwei Runden versuchen professionelle, halbprofessionelle und Hobbyfilmschaffende aus 20 Nationen innerhalb von lediglich zwei Tagen einen Kurzfilm zu produzieren. Fragt man 20 Teilnehmer nach ihrer Motivation, erhält man 20 verschiedene Antworten. Der blutige Regieanfänger ist genauso dabei wie die „Berg­doktor“-Schauspielerin Kristina Böhm, Tochter von Karlheinz Böhm, der einst den Franz Joseph in „Sissi“ mimte. Die Welt der Kurzfilme ist groß und ihre Akteure sind vielfältig: mal spannend und interessant, mal merkwürdig und skurril. Wie die Art der Kurzfilme, die im Zuge des Kino Berlino entstehen. Science-Fiction ist genauso vertreten wie die klassische romantische Komödie und ein Beitrag, den man nur mit „Zukunfts-Mafia-Märchen mit einer Bienenkönigin“ beschreiben kann.

Traum vom Langfilm

Eins haben sie alle gemeinsam: Sie sind ambitioniert und ehrgeizig. „Ich bin ein ambitionierter Motherfucker!“, sagt auch Tsungai Garise und lacht dabei. Der Mittdreißiger kommt aus Simbabwe, lebt seit einer Weile allerdings in Sambia und macht dort Theater. Ein paar seiner Kurzfilme liefen bereits bei diversen afrikanischen TV-Sendern. Seit Juni ist er in Europa, das Kino Berlino ist sein drittes und letztes Kino Kabaret, bevor er wieder zurückfliegt. Sein großes Ziel ist ein 90-Minüter. „Die Filmindustrie wird von Arschlöchern beherrscht“, sagt er. Deshalb dreht er erst mal Kurzfilme. „Das Gute an diesen Filmen ist, dass ich sie mir leisten kann. Außerdem halte ich die Dinge gerne einfach. Der Aufwand der Nachbearbeitung ist überschaubar, und ich habe zu jeder Zeit die volle Kontrolle“, sagt er.

Die Idee zu seinem bei Kino Berlino produzierten Kurzfilm „Breathe“ bekam er auf seiner Reise durch Europa. „Die Leute hier ertrinken förmlich im System. Es erdrückt sie, nimmt ihnen die Luft zum Atmen.“ Ohne genau zu definieren, was dieses „System“ schlussendlich sein soll, sei dies keine Gesellschaftskritik, wie er sagt; eher eine Gesellschaftsbeobachtung. „Kritische Filme sind immer Mist, solange sie nicht konstruktiv sind“, fügt er an. Bis zum Jahresende will er in Sambia seinen ersten Spielfilm abgedreht haben und ihn bei der Berlinale einreichen. „Ich bin eben ein ambitionierter Motherfucker“, sagt er erneut leicht lächelnd.

Ambition und Spaß an der Sache sind die Haupttreiber für eine Kunstform, bei der am Ende meist nur Erfahrung als Belohnung steht. Dave Lojek hat seine eigene Theorie zur Faszination des Formats: „Wenn man es einmal ausprobiert hat, entdeckt man das unglaubliche Suchtpotenzial. Für mich sind Kurzfilme wie ein endloser Drogentrip.“