Das Gentrifizierungspoem

THEATER FÜR DEN KOTTI Copy & Waste laden in den Ruckzuck Cupcakes & Time Travel Concept Store zu einem Umschreiben von Geschichte ein. Geeignet ist es allerdings mehr für Melancholiker als für Aktivisten

Daniel Brunet, Lisa Flachmeyer und Steffen Klewar auf dem Dach des Kreuzberger Zentrums Foto: Jerun Vahle

von Tom Mustroph

Die Startrampe für die Zeitreise ist gut gewählt. Das Treppenhaus im Aufgang zu den Läden im Neuen Kreuzberger Zentrum ist von Urinaroma durchtränkt. Hier will man schnell durch. Und weil selbst die ziemlich hartnäckigen aktuellen Aufwertungsdynamiken den Geruch nicht aus dem Beton herausgeätzt haben, scheint die hübsche 80er-Jahre-Fantasie des Zeitreisens eine gute Methode des Entkommens.

Oben angelangt, steckt man in einem Laden fest, der leere Regale aufweist. Das ist keine Reminiszenz an den Spätsozialismus, dem es dank der Zeitreisentechnologie gelungen wäre, sich selbst nach dem Ende der staatssozialistischen Linken auf der anderen Seite der Mauer auszubreiten. Nein, im Laufe des Abends bestücken die Performer die Regale mit weißen T-Shirts, güldenen Taschen und weißen Stofftretern. Das Angebot bleibt übersichtlich und ist bewusst überteuert. Der Laden ist ein Concept Store. Das ist der Ausblick von Copy & Waste in eine lokale Zukunft rings um den Kotti. „Vom Ein-Euro-Shop zum Einhundert-Euro-Shop – eine Aufstiegsstory“, sagt Steffen Klewar, einer der Zeitreise-­Guides im Laden.

Besucht werden die Stationen 2015, 1985, 1955 und 1885, also exakt jene, die Marty McFly gemeinsam mit dem schrägen Doc Emmett Brown im amerikanischen Suburbia ansteuert in „Zurück in die Zukunft“. Nur ist hier eben alles auf Kreuzberg, Berlin und Deutschland gemünzt. Anders als in der Filmtrilogie, in der Marty und der Doc aus sehr egoistischem Interesse daran, ihr 80er-Jahre-Leben genauso zu leben, wie es die Originalzeitlinie ihnen vorgibt, alle Manipulationen in der Vergangenheit wieder rückgängig machen wollen, spielen Copy & Waste mit dem Utopiepotenzial einer veränderten Vergangenheit.

Das führt zu neckischen Interventionen. So wird ein im Jahre 2014 wiedergefundenes Gentrifizierungs-Quiz des San Francisco Chronicle aus dem Jahre 1985 im Mitt-80er-Kreuzberg zurückgelassen. Aufwertungskriterien sind dabei, wie viele Eisdielen es gibt, wie viele Bäckereien, die Baguettes und Croissants verkaufen und gar nicht mehr den Schriftzug „Bäckerei“ im Titel haben, und wie viele Zeitungskioske mit internationaler Presse. Eine hübsche Warnung für die damalige Kreuzberger Szene. Die aber auch dazu führen könnte, dass ein Cleverle die Kriterien als Geschäftsidee versteht und selbst Eisdielen, Cafés etc. ins Leben ruft. Für eine Änderung der Zeitlinie ist das Ganze also zu subtil.

„Vom Ein-Euro-Shop zum Einhundert-Euro-Shop – eine Aufstiegsstory“, sagt Steffen Klewar, einer der Zeitreise-Guides im Laden

Härterer Stoff wird 1885 aufgefahren. Daniel Brunet vom English Theatre versucht da als pazifistischer Naturguru zur Absage an Kriege aufzurufen. Kurz entsteht die Vision der „pazifistischen Preußen“ als der pazifistischsten Pazifisten der Welt. Aus dem Holzhüttenparadies 1885 entwickelt sich eine solargetriebene Eco City 1955, die allerdings auch nur Platz für die Betuchten hat, während die Holzhütten am Stadtrand zur Favela werden. Der von Jörg Albrecht geschriebene und von den drei Performern Lisa Flachmeyer, Steffen Klewar und Daniel Brunet dargebrachte Text umsäuselt apart die Ohren. Alternative Szenarien werden spielerisch entworfen, bis sie das Schicksal platzender Luftblasen ereilt.

Aber die Brisanz ihres Themas vergibt die Truppe durch die Anlage des Abends als einer Meditation. Das Publikum wird in drei Räume in Kleingruppen geteilt, atmet gruppendynamisch tief ein und aus und wird in eine Traumatmosphäre geführt, die nur Spielereien kennt, aber keine Konsequenzen. Das irritiert in diesem Haus am Kotti dann aber doch.

Zumindest einen realen Effekt hat der Ruckzuck Cupcakes & Time Travel Concept Store. Aufgrund eines geschickt formulierten Newsletters des WestGermany, in dessen Räumen sich der Concept Store befindet, entstand der Eindruck, der Store würde den Club verdrängen. „Das ist ein Gedankenexperiment, um auf die realen Probleme der Aufwertung hinzuweisen“, erklärte Performer Daniel Brunet, selbst oft Gast im WestGermany, der taz. Der neueste Newsletter vom WestGermany kündigt für September wieder den Robert-Kurz-Lesekreis und die Cryptoparty zum Erlernen von Verschlüsselungstechnologien an. Diese Zeitlinie scheint also noch in Ordnung.

Performance wieder 3.–6. und 10.–12. 9., 20 Uhr, Laden 15,19 Uhr, Skalitzer Straße 133