Neue Welt aus altem Zeug

KUNST Auf gerade einmal 35 Quadratmetern hat der Bremer Künstler Achim Bitter eine ganz eigene Welt errichtet. Damit ist er einer der seltenen Bremer Gäste des Kabinetts für aktuelle Kunst in Bremerhaven

Konkrete öffentliche Orte sind für Achim Bitter zentraler Bestandteil seiner Arbeit Foto:  Foto: Kunstverein Bremerhaven

von Radek Krolczyk

Das Kabinett für aktuelle Kunst in Bremerhaven ist nicht gerade besonders groß. Gerade einmal 35 Quadratmeter misst der Ausstellungsraum, den Jürgen Wesseler 1967 in einem leer stehenden Ladenlokal im Neubau des Kunstvereins eröffnete. Seit fast einem halben Jahrhundert zeigt der ehemalige Vermessungsingenieur hier konzeptuelle Kunst. Zu seinen Gästen zählten unter anderem Joseph Beuys und Gerhard Richter, Laurence Wiener und On Kawara, Gregor Schneider und Andreas Slominski.

Bremer Künstler waren in der Bremer Enklave nur selten eingeladen. Die 35 Quadratmeter waren stets der großen Kunst vorbehalten. Die Bremer Kunstszene wird rund um das Kabinett oft als grundlos überheblich wahrgenommen. Man pflegt einen gewissen Stolz und blickt mit Trotz in Richtung Bremen. Zudem hatten manche der Künstler zum Zeitpunkt ihrer ersten Bremerhavener Ausstellung ihren Erfolg erst noch vor sich. Jürgen Wesseler ist für seinen guten Blick bekannt.

Wenn das Kabinett für aktuelle Kunst mit Achim Bitter einen Bremer Künstler zeigt, dann kann man sich sicher sein, dass es wenig mit der administrativen Nähe der beiden Städte zu tun hat. Bitter ist ein Künstler ganz nach Wesselers Geschmack. Er weiß, wie man mit minimalen Mitteln maximale Wirkung erzeugt. So ist auch nicht viel zu sehen in dem winzigen Ladengeschäft, und doch beherbergt es eine ganze eigene Welt. So wie der Raum die Kunstgeschichte enthält, enthalten die wenigen formal angeordneten Gegenstände gewissermaßen das bisherige Gesamtwerk Achim Bitters.

Durch die geteilte Scheibe hindurch sieht man im Inneren des hellen Raumes einen Arbeitstisch, einen Hocker auf dem ein verpackter Ausstellungssockel steht, darauf sämtliche Bücher, die der Künstler bis heute veröffentlicht hat. An der Wand hängt ein Handtuch, in der Ecke lehnt eine Leiste. Es ist überhaupt nicht nötig, den Raum zu betreten. Von der Scheibe aus wirkt die Installation wie ein Bild. Es ist eine seltsame Situation, die man hier vorfindet. Geht es um Ankunft oder Aufbruch? Packt hier jemand seine Geschichte ein oder aus? Ist der Übergang permanent? Existiert dieser Jemand überhaupt noch?

Es ist eine seltsame Situation, die man hier vorfindet. Geht es um Ankunft oder Aufbruch? Packt hier jemand seine Geschichte ein oder aus?

Achim Bitter wurde 1960 im niedersächsischen Twistringen geboren und studierte an der Hochschule für Künste in Hamburg. Bekannt geworden ist er in den 90er-Jahren durch seine besondere Art der Bezugnahme auf konkrete öffentliche Orte. So etwa im Jahre 2000, als die Hamburger Kunsthalle ihn zur Teilnahme an der Gruppenausstellung „ein/räumen“ einlud. An die Künstlerinnen und Künstler wurde damals die Aufgabe gestellt, mit den Werken der hauseigenen Sammlung zu arbeiten. Achim Bitter wählte das größte Gemälde der Hamburger Kunsthalle, Hans Makarts „Einzug Karl V. in Antwerpen“ von 1878. Direkt gegenüber dem etwa 50 Quadratmeter großen Historiengemälde errichtete Bitter einen eigenartigen Bau aus allerlei altem Zeug. Der Künstler hatte sich von einem Hamburger Recyclinghof Umzugskisten, Paletten und ausrangierte Möbel geliehen. Als eine Art Verteidigungsbau boten sie dem Besucher nun Schutz vor den Truppen Karls V. Wobei im Inneren der Festung eine Art Kino eingerichtet war, in dem allerlei Filmsequenzen zu sehen waren, die Spielfilmkatastrophen zeigten.

Die Hamburger Installation zeigt Bitters Arbeitsweise recht anschaulich. Wo er hinkommt, sammelt er Dinge zusammen, die nicht mehr verwendet werden. Diese setzt er dann in Bezug zu seinem Ausstellungsraum. In diesem leben die alten Dinge dann für eine begrenzte Zeit ein anderes, zweites oder drittes Leben. Bitter versteht sie als gesellschaftliche Gegenstände, also werden sie historisch. Häufig ordnet er sie räumlich an, so bekommen sie nicht nur Zuflucht geboten, sondern bieten selbst eine Art Zuflucht. In seiner Arbeit „ORR 2006“ beschäftigte er sich anhand von Fundstücken und Fotos ganz explizit mit einem solchen Fluchtort, einem zu Beginn der 80er Jahre in Köln besetztem Haus.

Bis vor Kurzem hatte Achim Bitter an der Hochschule für Künste in Bremen eine Professur für Intermediale Fotografie – was auch immer das sein sollte. Seinen Einfluss auf jüngere Künstlerinnen und Künstler wie Z. Schmidt, Tim Reinecke oder Sebastian Reuschel merkt man durchaus, inhaltlich wie formal. Vielleicht sieht man auch sie einmal im Bremerhavener Kabinett.

bis 30. September im Kabinett für aktuelle Kunst Bremerhaven