Bauchschuss schon verheilt

JUSTIZ & POLIZEI Auf ein rechtsmedizinisches Gutachten gestützt entscheidet die Staatsanwaltschaft, dass ein Polizist nicht anders konnte, als seine Pistole mit seinem Taser zu verwechseln

Sind Polizisten lebensgefährlich programmierte Robocops? Diesen Eindruck vermittelt ein Gutachten des Hamburger Rechtsmediziners Klaus Püschel. Auf das hat sich die Staatsanwaltschaft gestützt, um ein Verfahren gegen einen Polizisten aufgrund des Anfangsverdachts der „fahrlässigen Körperverletzung im Amt“ einzustellen, ohne es dem Gericht vorzulegen.

Der SEK-Beamte hatte im März 2014 in der östlichen Vorstadt einen 33-Jährigen, der drohte, sich mit einem Messer selbst zu töten, nicht wie vorgesehen mit einer Elektroschock-Harpune, kurz Taser, attackiert, sondern auf den Einsatzbefehl hin seine entsicherte Dienstwaffe gezogen und dem Betroffenen in den Bauch geschossen. „Reflexartig“, wie die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Silke Noltensmeier, das Gutachten zitiert. Dieses dürfe die Öffentlichkeit, auch die Presse, nicht einsehen.

Die Staatsanwaltschaft müsse grundsätzlich immer, so Noltensmeier weiter, den Schuldnachweis führen und deswegen vor jedem Gerichtsverfahren prüfen, ob ein hinreichender Tatverdacht vorliegt und eine Verurteilung möglich sei. Dazu hätte „die Tat willensgesteuert“ gewesen sein müssen, so die Auskunft Noltensmeiers.

Da sich die Staatsanwaltschaft „nicht sicher“ gewesen sei, habe sie das Gutachten in Auftrag gegeben. Dem sei zu entnehmen, dass für den Einsatz vereinbart worden war, den potenziell Lebensmüden mit einem explodierenden Knallkörper abzulenken und dann mit dem Taser außer Gefecht zu setzen.

Um selbst vor dem Knall geschützt zu sein, trug der SEK-Beamte Ohrenstöpsel. Einer ist ihm auf den Boden gefallen. Um ihn wieder aufzuheben, hatte er seine rechte Hand vom Taser in der linken Hosentasche genommen.

Gerade da sei der Zugriffsbefehl gekommen. Die rechte Hand griff nun, statt zum Taser, an die rechte Hüfte zum Pistolenholster, in der die Dienstwaffe gesteckt habe. Die sei für den Einsatz „bereits entsichert“ gewesen: Der Polizist hatte sich laut Gutachten „nicht absichtlich vergriffen“, sondern dieses Verhalten ist den SEK-Beamten antrainiert, wenn das Signal zum Angriff ertönt: eine automatisierte Handlung. Und damit strafrechtlich nicht relevant. Folge: Man entschied, das Verfahren einzustellen.

Die Dienststelle für interne Ermittlungen beim Innensenator, die bei strafrechtlichen Vorwürfen gegen PolizistInnen eingeschaltet ist, habe auf die Entscheidung „keinerlei Einfluss“ gehabt, betont Noltensmeier. Der „Unglücksschütze“ arbeitet inzwischen nicht mehr beim SEK. Sein damaliges Opfer sei „wieder wohlauf“, so Noltensmeier, es habe „keine Spätfolgen“.

Fragwürdig bleibt, warum PolizistInnen vergleichsweise selten vor Gericht landen. Gegen etwa 4.500 von ihnen ermittelten deutsche Behörden im Jahr 2013 wegen Straftaten im Amt. Doch selbst bei Tötungsdelikten landeten nur 4,8 Prozent der Fälle vor Gericht, 1,4 Prozent bei Gewaltdelikten, so das Statistische Bundesamt.

In Bremen fällt diese Quote etwas moderater aus: Von 44 Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt hatten zwei im Jahr 2013 eine Anklage zu Folge, „das entspricht einer Quote von 6,8 Prozent“, so Noltensmeier. Unabhängig vom beruflichen Status der Verdächtigen liegt die gut dreimal so hoch.

Ursache sei, dass PolizistInnen „häufiger angezeigt“ würden, so Noltesmeier, „weil sie häufiger Gewalt anwenden“. Das gehöre ja zu ihrem Job. Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt der Berliner Jura-Professor Tobias Singelnstein: Laut seiner 2013 veröffentlichten Studie zum Thema werden PolizistInnen, die das Gesetz brechen, nur selten angezeigt – und können sich dann sehr oft auf die Rückendeckung von KollegInnen und Staatsanwaltschaft verlassen. FIS