Berliner Szenen
: Die Maniküre

Nagelprobe

Ein leichter Schauder überkommt mich beim Eintreten

Ein geheimes Verlangen treibt mich in unregelmäßigen Abständen zu einem Nagelstudio am Kottbusser Damm. Nicht, dass ich es auf künstliche Fingernagelverlängerung, auf French Nails, Glitter oder Flitter auf meinen Keratinplatten abgesehen hätte. Nach 16 Jahren Neukölln leiste ich mir ab und zu die schlichte „Maniküre mit Klarlack“ zu acht Euro.

Ein leichter Schauder überkommt mich beim Eintreten – in der Luft und auf den weißen Arbeitstischchen der Nagelarbeiterinnen- und arbeiter, auch Männer schuften hier, liegt viel abgefeiltes Nagelmaterial. Ich frage mich jedes Mal, ob das hygienisch so d’accord geht, und dann sehe ich wieder den „Sterilisator“ hinter der blinkenden „Reception“ und er sieht aus wie eine Mini-Mikrowelle und drinnen liegt Gerätschaft zur Nagelpflege und der Sterilisator blinkt grün und ich denke mir, wird schon alles sauber zugehen.

Stets gerate ich an andere Sachbearbeiter und alle kommen sie aus Vietnam. Sie sagen immer „Bitte setzen, wie Nägel machen, ist gut so?“. Manchmal gibt es ein kleines Gespräch und dann erfährt man, dass das Gegenüber „auf der S1 Richtung Oranienburg wohnt und sehr müde abends“. Als meine Nagelhäutchen abgezupft werden, quietscht im hinteren Bereich ein Baby und die Nagelstudiochefin berichtet, dass es ein Mädchen sei und „nicht gut essen, Baby zu dünn“. Ich lächle verlegen und meine Sachbearbeiterin ruft: „Du auch Baby machen!“

Nach solchen Dialogen folgen meine geliebten Schweigeminuten, in denen ich fast einschlafe. Als ich wieder aufwache, wird das dünne Baby im Pediküre-Becken gewickelt. Draußen auf dem Damm zieht lautes Partyvolk mit Bierflaschen vorbei. Es bleibt vor der Scheibe stehen, dann grölt einer aus der Gruppe: „Kommt, wir lassen uns jeder einen Asiaten-Nagel machen!“ Harriet Wolff