HelferInnen machen Druck auf Czaja

FLÜCHTLINGE II Bei einer Kundgebung beklagen engagierte BürgerInnen das Versagen des Staates

Mehr Unterstützung für Flüchtlinge und Helfer sowie ein klares Bekenntnis gegen rechte Gewalt: Auf diesen Nenner lassen sich die Forderungen von rund 300 DemonstrantInnen bringen, die am Mittwochmittag vor dem Amtssitz von Sozialsenator Mario Czaja (CDU) demonstrierten. „Die große Gefahr kommt von rechts, nicht von geflüchteten Familien“, sagte Mareike Wenzel von der Initiative „Moabit hilft“ unter großem Applaus. Auch der Moderator der Kundgebung, Ralph Ehrlich von der Aidshilfe, kam auf die jüngsten Anschläge gegen Flüchtlinge und Heime zu sprechen: „Dem Hass und der Brandstiftung setzen wir Liebe und Verantwortung entgegen.“

Mit „wir“ meinte Ehrlich die zahlreichen Freiwilligen, die seit Wochen neu ankommende Flüchtlinge auf dem völlig überfüllten Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung in Moabit sowie in den neu eingerichteten Notunterkünften betreuen. Sie bildeten, abgesehen von einigen Politikern der Linken, Grünen und SPD, offenkundig einen beträchtlichen Teil der DemonstrantInnen. Dass „der Staat“ – in Berlin in Gestalt des für die Unterbringung von Asylbewerbern zuständigen Sozialsenators – in der aktuellen Flüchtlingskrise versagt, darüber herrschte Einigkeit. „Wer überfordert ist, darf zurücktreten, Herr Czaja!“, lautete ein viel beklatschtes Transparent.

Entsetzt über Zustände

„Ich bin ehrlich erzürnt, dass wir Bürger so viel machen und die Politiker zu Hause sitzen“, sagte Julia Krauskopf, eine junge Krankenschwester, am Rande der Veranstaltung der taz. Sie habe vor einigen Tagen beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Moabit ausgeholfen und sei entsetzt über die Zustände dort. Die Menschen hätten ihr Wasser und Lebensmittel förmlich aus den Händen gerissen. „Ich dachte nicht, dass es so etwas in Berlin gibt.“ Auch Hakan Demir, stellvertretender Landesvorsitzender der AG Migration der SPD, erzählte, er habe vor Kurzem zehn Stunden beim Lageso ausgeholfen. „Der Staat versagt, ja, aber die Zivilgesellschaft ist da, wenn man sie braucht“, lobte der Politiker die HelferInnen.

Auf Rednerseite berichtete Özgur Özata von „Wilmersdorf hilft“ von der Unterstützung vieler BürgerInnen für die rund 500 Flüchtlinge, die seit Kurzem im ehemaligen Rathaus Wil­mers­dorf untergebracht sind. Jeden Tag kämen Dutzende Helfer, sortierten und verteilten Spenden: „Aber wir kommen an unsere Grenze. Wir brauchen mehr Hilfe, Herr Czaja!“

Wenzel von „Moabit hilft“ schilderte sichtlich bewegt die chaotischen Zustände in der Moabiter Turmstraße, wo Flüchtlinge orientierungslos herumliefen, weil sie von niemandem Informationen bekämen, und weiterhin Hostelgutscheine verteilt würden, mit denen man kein Obdach finde. Ihrer Wut auf die Trägheit von Politik und Verwaltung, die nur sehr verzögert auf die Missstände reagieren, machte sie mit einem lauten Schrei ins Mikrofon Luft.

Wütend war auch Jouanna Hassoun. Die Projektleiterin des „Zentrums für Migranten, Lesben und Schwule“ des Lesben- und Schwulenverbands organisiert für „Moabit hilft“ die medizinische Erstversorgung in der Turmstraße. „Seit drei Wochen warten wir auf institutionelle Hilfe und einen richtigen Medi-Point“, beschwerte sie sich – stattdessen würden den freiwilligen Ärzten ständig Steine in den Weg gelegt.

Zudem bereite ihr Sorge, dass unter den obdachlos im Park nächtigenden Flüchtlingen auch Schwule und Transleute seien, es habe bereits einige Missbrauchsfälle gegeben. „Auch hier muss sich der Staat endlich kümmern“, forderte Hassoun. Wieder großer Applaus. Zum Schluss ein Wutschrei aus 300 Kehlen. Ob Czaja den gehört hat? Angeblich war er nicht im Haus. SuM