ORTSTERMIN: DER „KISS“-GITARRIST ACE FREHLEY IN HAMBURG
: Space Ace und die Veteranen

Die Klofrau heißt Taddi, und sie ist enttäuscht. Keine rausgestreckten Monsterzungen, keine abgedrehten Frisuren, keine geschminkten Teenager. Eigentlich überhaupt keine Teenager. Das ist also aus der „Kiss-Army“ geworden, jener berüchtigten Fan-Bewegung, die mit der Hardrockband „Kiss“ rund um die Welt ganze Stadien in Wallungen brachte? Ein Haufen Männer um die 40, die aussehen, als hätten sie sich auf dem Weg zum Skatabend verlaufen. Und es sich nun einfach hier gemütlich machen – in der Großen Freiheit 36, Hamburg-St. Pauli, wo gleich Ace Frehley auftritt, von 1974 bis 82 Gitarrist bei Kiss.

Der Alkoholverkauf läuft nur schleppend an diesem Abend, das weiß Taddi von ihren Kollegen an der Bar. Dafür macht sie selbst heute endlich mal richtig Reibach. Taddi verkauft nämlich im Gang zur Toilette Kaugummis und Süßigkeiten – und Ohrstöpsel, „das Stück ein Euro“. Der Vorrat sei schon beinahe aufgebraucht, sagt sie, „dabei hat das Konzert noch nicht einmal angefangen“.

Auch die Vorgruppe, lebender Beweis dafür, dass zu viel Fastfood und Computerspiele nicht gut sind für Teenager, weiß die gesetzten Herren nicht so richtig anzuheizen. In kleinen Gruppen stehen sie da, plaudernd, während auf der Bühne Haare fliegen und Schweiß fließt.

Kaum allerdings verhallt der letzte Riff der Vorgruppe, sammeln sich Langhaarige in unmodernen Ledermänteln vor der Bühne. Erste „Ace!“-Sprechchöre finden sich zusammen. „Ace ist der Beste, ohne ihn ist Kiss praktisch tot“, erklärt Stephan, schon seit über 30 Jahren Kiss-Fan. Viele Fans der Band nähmen Ace Frehley – alias „Space Ace“ – seinen Alleingang immer noch übel. Der aber sei alleine „einfach besser“, findet Stephan: „Schneller, lauter, härter!“

Und genau das will Ace mit seiner Europatour noch einmal unter Beweis stellen. Schon seine ersten Akkorde versetzen das Publikum in Wallungen. Wie eine Maske haben nun die gesetzten Herren ihre Skatklub-Visagen abgelegt und sind irgendwo anders angekommen, irgendwo vor 1982.

Als Ace „Rock Soldier“ anstimmt, seinen Hit, hat er sie wieder vor sich, die treue, alte Kiss-Armee. Wie aus einem Mund rufen ihm die Veteranen noch den Refrain entgegen, als die Musik längst ausgesetzt hat. Inzwischen hat sogar Taddi ihren Posten auf dem Weg zum Klo aufgegeben, um nachzuschauen, was da oben los ist. Einem Gast, der doch noch ein paar Ohrenstöpsel kaufen will, poltert sie nun hinterher: „Geh doch ins Altersheim, wenn du das nicht aushältst!“

Und dann ist es soweit. Jetzt kann Ace auch sein berüchtigtes Gitarrensolo spielen. Erst winselt die Gitarre, dann schreit sie, kreischt, bibbert – aber es gibt kein Entkommen und keine Gnade: Space Ace wird es zu Ende bringen. Die Gibson beginnt zu rauchen, zu funkeln – und schließlich brennt sie. Jetzt hat die Ekstase im Saal ihren Höhepunkt erreicht. Ace spielt auf der brennenden Gitarre, von irgendwo her zieht Rauch heran, und die Hamburger Fans sind außer sich.

Einer ist sogar derart außer sich, dass er meint, jetzt sei endlich der Moment gekommen, um von der Bühne ins Publikum zu springen. Er krabbelt aufs Podest, reist die Arme in die Höhe – und wird von einem Sicherheitsmann am Arm wieder hinunter begleitet, ganz vorsichtig. Es soll sich ja niemand seine Knochen brechen. JOHANN TISCHEWSKI