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Uterus macht Bürgern Sorgen

Sexuelle Selbstbestimmung Wenn die „Lebensschützer*innen“ aufmarschieren,sind Feminist*innen und Befürworter*innen reproduktiver Autonomie schon da

Ideal geeignet zur Selbstverwaltung: äußere weibliche* Geschlechtsorgane Foto: brauchichnpulli.com

von Donata Kindesperk

Im Januar 1974, ein Jahr nachdem der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall Roe gegen Wade zugunsten eines Rechts auf Abtreibung entschieden hat, sammelten sich erstmals Abtreibungsgegner*innen zu einem „March for life“ in Washington. Eine halbe Million Marschierende sind seit Jahren Standard; viele sind sehr jung und reisen mit christlichen Jugendgruppen oder Schulen an. Sie bezeichnen sich als „Generation Pro Life“.

US-Cartoon Cartoonist Nick Anderson umriss das Auftreten der Pro-Life-Aktivist*innen wie folgt: Eine hochschwangere Frau und ihr ungeborenes Kind sind umringt von den Bauch fixierenden Menschen, die die Mutter unterdessen vollkommen ignorieren. „Wir werden alles tun, um dein Leben zu schützen!“, sprechen sie zum Bauch. Kurze Zeit später: Das schützenswerte Kind ist geboren. Die Meute hat inzwischen ihr Mitgefühl verloren und schreit: „Jetzt bist du auf dich allein gestellt! Besorg dir einen Job, Schnorrer! Ich hoffe, deine schlampige Mutter will nicht auch noch Lebensmittelmarken, um dich zu füttern! Oder Krankenversicherung!“

Die weniger harmlose Seite dessen belagert Gehsteige vor Frauenkliniken und Beratungsstellen; viele Einrichtungen sind auf Begleitschutz ihrer Patientinnen abgewiesen, um diese auf dem Weg ins Gebäude vor den „Pro-Life“-Anhänger*innen – so gut es geht – abzuschirmen. Die Nachrichtenagentur ap meldete am Dienstag, ein 19-jähriger Mann sei während der Sicherheitskontrolle einer Frauenklinik in Kansas mit einem selbst gebastelten Sprengsatz erwischt worden.

Seit den nuller Jahren haben sich „Märsche fürs Leben“ auch in vielen anderen Städten und Ländern (wie Frankreich, Polen und Deutschland) etabliert. Im Zuge eines neokonservativen bis neoreaktionären Rollbacks findet die in Deutschland inzwischen positiv lebensbejahend auftretende Bewegung Zulauf. Der befremdlichere frühere Veranstaltungsname „Tausend-Kreuze-Marsch“ wurde ersetzt. Holocaust-Vergleiche gehören der Vergangenheit an. Der Bundesverband Lebensrecht, der die Demonstration im September organisiert, konnte zuletzt rund 5.000 Abtreibungsgegner*innen nach Berlin mobilisieren.

Donnerstag, 20. AugustInfoveranstaltung und FilmZur Geschichte des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland, mit dokumentarisch-essayistischem Film und Infos zum Stand der Mobilisierungen gegen den „Marsch für das Leben”. 19 Uhr, Projektraum, Hermannstraße 48

Montag, 24. AugustBündnistreffenOffenes Planungstreffen des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung. 18 Uhr, in den Räumen des Humanistischen Verbandes, Wallstraße 61–65.

Samstag, 19. SeptemberAktionstag„Leben und Lieben ohne Bevormundung“, Auftaktkundgebung um 11.30 Uhr Brandenburger Tor„What the fuck!“„Antifeminismus sabotieren! Für körperliche Selbstbestimmung demonstrieren! Christliche FundamentalistInnen blockieren! Dem Marsch, seinen AkteurInnen und ihrem Gedankengut entschlossen entgegentreten!“ 11 Uhr, S-Anhalter Bahnhof

Zum Protest gegen den Berliner „Marsch für das Leben“ rufen das autonome Aktionsbündnis „what the fuck!“ und das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ auf. Wie im letzten Jahr wird es zwei Veranstaltungen geben (siehe Kasten links), wobei „what the fuck“ auch gezielt zu blockieren versucht. Im Vorfeld gibt es im Rahmen von Infoveranstaltungen und offenen Treffen reichlich Möglichkeiten, sich einzubringen und die feministischen Proteste zu stärken.

Die Mitwirkung an den Protesten ist wichtig, aber es braucht auch eine stetige Aufmerksamkeit gegenüber der homophoben und antifeministischen Bewegung hinter dem Marsch, deren Vorstellungen auf patriarchalen Gesellschaftsstrukturen und der weißen heterosexuellen Kleinfamilie basieren. Eike Sanders, Mitautorin von „Deutschland treibt sich ab“, erklärt im Missy Magazine, man müsse erkennen „dass diese Märsche nur ein Symptom sind für die Arbeit, die die LebensschützerInnen“ machen.“