Zahl der Hinrichtungen steigt sprunghaft

SAUDI-ARABIEN Im ersten Halbjahr 2015 sind in dem Königreich 102 Todesurteile vollstreckt worden

Protestaktion in Dhaka gegen die Hinrichtungen von acht Bangladeschern in Saudi-Arabien am 15. 10. 2011 Foto: Andrew Biraj/reuters

BERLIN taz | In Saudi-Arabien steigt nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) die Zahl der Hinrichtungen. So wurden allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres mindestens 102 Personen hingerichtet. Demgegenüber lag die Zahl im gesamten Vorjahr bei 90 Personen.

Saudi-Arabien ist weltweit eines der Länder mit den meisten Hinrichtungen, nur in China und dem Iran liegt die Zahl noch höher. Dies geht aus einem 44-seitigen Bericht mit dem Titel „Töten im Namen der Justiz – Todesstrafe in Saudi-Arabien“ hervor, den AI am Dienstag veröffentlichte. In dem konservativen Königreich wird die Todesstrafe nicht nur im Falle von Kapitalverbrechen verhängt.

Besonders stark stieg die Zahl der wegen Drogendelikten Hingerichteten – von vier Prozent 2010/2011 auf 32 Prozent 2013 und 47 Prozent 2014. Auch Apostasie (Gottesleugnung), Ehebruch, bewaffneter Raub, Vergewaltigung und Hexerei können mit dem Tod bestraft werden.

Der Bericht beklagt überdies, dass Angeklagte häufig keinerlei Zugang zu einem Anwalt haben, Geständnisse in manchen Fällen unter Folter stattfinden und die Angehörigen häufig nicht über die Hinrichtung informiert werden. Zudem handelt es sich bei fast der Hälfte aller Hingerichteten um Arbeitsmigranten, die oft nicht gut Arabisch sprechen.

Die saudischen Behörden weisen Kritik an ihrer Hinrichtungspraxis zurück. Sie argumentieren, die Praxis entspräche der Scharia, dem islamischen Recht, und werde nur bei Schwerverbrechen angewandt. Da es in Saudi-Arabien kein Strafgesetzbuch gibt, bleibt laut AI die Definition von Verbrechen und Strafen vage und offen für Interpretationen.

Für den Bericht untersuchte AI 20 Fälle von Todesurteilen und Hinrichtungen seit 2013. Dabei erhielt die Organisation ihre Informationen entweder direkt von den zu Tode Verurteilten, ihren Anwälten, Verwandten oder aus Gerichtsunterlagen.

Die Autoren weisen darauf hin, dass die Bedingungen für Recherchen in Menschenrechtsfragen in Saudi-Arabien immer schwieriger werden. Dies liegt unter anderem daran, dass die Behörden zu Tode Verurteilten und ihren Angehörigen nachdrücklich nahelegen, die Fälle nicht an die Öffentlichkeit zu bringen oder internationale Organisationen zu kontaktieren, mit dem Argument, das würde die Dinge nur weiter verkomplizieren.

In einigen Fällen versichern die Behörden sogar gegenüber den Angehörigen, der Verurteilte werde dem Tode entgehen, falls sie das Urteil oder das Verfahren nicht kritisieren. Wenn die Familien dann diesem Rat folgen, ist es meist zu spät, wenn sie realisieren, dass sie getäuscht worden sind. BEATE SEEL