„Es ist eine individuelle Entscheidung“

Seit Einführung der Pränatal-Diagnostik werden immer weniger Kinder mit einer Behinderung geboren. Die vorgeburtlichen Untersuchungen nehmen deswegen zu – bergen aber auch erhebliche Risiken

ieser Abbruch war die schwerste Entscheidung meines Lebens“, sagt Christina Kleinert (Name geändert). Die 28-Jährige war in der 21. Woche schwanger, als bei einer Fruchtwasseruntersuchung festgestellt wurde, dass ihr Kind schwere Missbildungen hatte. Die Diagnose: Trisomie 13. Bei diesem so genannten Patau-Syndrom haben die Kinder so schwere Fehlentwicklungen, dass sie meist schon vor der Geburt oder in den ersten Lebensmonaten sterben.

„Pränatale Diagnostik kann selektive Folgen haben“, warnt Ebba Kirchner-Asbrock von der Beratungsstelle Cara e.V. Dort finden schwangere Frauen Informationen und Betreuung in Sachen vorgeburtlicher Untersuchungen. Zu unterscheiden sind dabei die risikofreien Methoden wie Ultraschall oder Nackenfaltenmessung und risikoreiche Methoden wie die Fruchtwasser- oder Nabelschnurpunktion, bei denen in die Gebärmutter eingedrungen wird – und die Gefahr einer Fehlgeburt besteht.

Für alle vorgeburtlichen Untersuchungen gilt: Sie müssen nicht durchgeführt werden. „Es gibt ein Recht auf Nicht-Wissen“, erklärt Kirchner-Asbrock. Auch könnten die meisten Untersuchungen keine verlässlichen Ergebnisse liefern. „Das hat viel mit Statistik zu tun: So wird bei einer Nackenfaltenmessung lediglich ein Risikowert ermittelt, nach dem dann weitere Untersuchungen erfolgen können. Dieser Wert sagt aber nichts darüber aus, ob überhaupt mit einer Behinderung zu rechnen ist.“ Ähnliches gelte auch für Chromosomenuntersuchungen: Es ließe sich nur bestimmen, ob eine Veränderung des Erbguts vorhanden ist – aber keine Aussage über die Schwere der Behinderung treffen.

Kirchner- Asbrock erklärt: „Man kann sagen, eine von 350 35-Jährigen bekommt ein Kind mit Down-Syndrom. Das klingt erschreckend. Man kann aber auch sagen, in 99,71 Prozent bekommt eine 35-Jährige kein Kind mit Down-Syndrom. Dieses Beispiel zeigt, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden sollte.“ Darum versuchen die Beraterinnen von Cara, Frauen dabei zu helfen, eine eigene Haltung zu finden.

Meistens würden die Schwangeren schon bei ihrem Gynäkologen mit dem Angebot konfrontiert, vorgeburtliche Untersuchen durchführen zu lassen. Die risikoreichen vor allem dann, wenn die Frauen älter als 35 sind. „Doch auch bei jungen Frauen nehmen vorgeburtliche Untersuchungen zu“, sagt Kirchner-Asbrock. So wie bei der 28-jährigen Christina Kleinert, die nach einem auffälligen Befund bei der Nackenfaltenmessung eine Fruchtwasserpunktion durchführen ließ. Das Ergebnis ließ fast zwei unerträglich lange Wochen auf sich warten. „Als ich nach all dem Bangen die niederschmetternde Diagnose hatte, geriet ich in Panik. Ich wollte, dass das einfach nur vorbei ist“, erinnert sich die Bremerin. Aber die Klinik, die ihr die Diagnose stellte, verweigerte die Spätabtreibung.

Das bemängelt auch Ebba Kircher-Asbrock: „Viele Frauen fühlen sich allein gelassen, wenn die Ärzte Gebrauch von ihrem Verweigerungsrecht machen.“ Die Sozialpädagogin rät Schwangeren, sich schon früh umfassend zu informieren und sich bei einem auffälligen Befund beraten und betreuen zu lassen. „Man sollte auch das Bauchgefühl sprechen lassen. Und sich die Frage stellen: Will ich mein Kind dieser Beurteilung preisgeben?“ meint Martina Borchert. Die 30-jährige Katholikin erwartete Zwillinge, als ihr Gynäkologe während der zweiten Ultraschalluntersuchung den Verdacht äußerte, die Kinder könnten Missbildungen haben. Martina Borchert und ihr Ehemann entschieden sich daraufhin gegen weitere vorgeburtliche Untersuchungen. „Für uns war klar, dass die Kinder so, wie sie sind, von Gott gewollt sind“, sagt sie entschieden.

Umso größer war die Freude, als die 30-Jährige vor einigen Monaten zwei gesunde Mädchen zur Welt brachte. Borchert ist sicher: „Es gibt keine Garantie für ein gesundes, aber auch nicht für ein behindertes Kind.“ gro

Beratung finden Bremerinnen bei Cara. e.V. unter 0421/591154 und www.cara- beratungsstelle.de sowie bei Pro Familia unter 0421/3406030.