Kommt die psychedelische Renaissance?

BUCHRELEASE Erst mal über den Rausch reden, mehr Kultur kommt später. Die „Automatisch“-Crew begann im Jonny Knüppel mit einer Lesung aus „Neues von der anderen Seite – die Wiederentdeckung des Psychedelischen“ und anschließender Technoparty

Nachdem eine Person einen schamanischen Tee getrunken hat, löste sich bei ihr die Subjekt-Objekt-Grenze auf

Es ist kurz nach 21 Uhr, die Lesung sollte bereits beginnen, doch ein paar Kabel müssen noch verlegt werden. Nervös sucht Julian Zwingel einen Kollegen. Er ist einer der Veranstalter der Buchreleaseparty im Jonny Knüppel und hofft, dass alles klappt.

Eine Stunde später fängt die Schauspielerin Juno Meinecke an vorzulesen. Leider stellt niemand das Buch und die Autoren vor. „Neues von der anderen Seite – die Wiederentdeckung des Psychedelischen“ von Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter ist Anfang Juli im Suhrkamp Verlag erschienen. Für BesucherInnen, die spontan gekommen sind, ist es daher etwas schwierig, einzusteigen. Doch bald ist allen klar, worum es geht: Das Sachbuch erzählt von psychedelischen Rauschzuständen, hervorgerufen durch Drogen wie LSD und MDMA.

Die Veranstaltergruppe „Automatisch“ hat sich vor knapp einem Jahr gegründet. Die vier befreundeten DJs Jakob Turtur, Julian Zwingel, Aron Gru­schins­ke und Alex Viet haben unter dem Namen schon ein paar Gigs gespielt, die Buchreleaseparty ist allerdings ihre erste richtige Veranstaltung. Mit dem Jonny Knüppel am Schleusenufer in Kreuzberg haben sie einen Ort gefunden, der zu ihrer Idee passt: mehr als nur einen Club, einen Kulturort im Entstehen. Nach der Sommerpause wollen sie dort jeden Monat einen Abend organisieren.

Die Autoren ­Benedikt Sarreiter und Paul-Philipp Hans­ke sitzen mit der Sprecherin und dem Moderator Alard von Kittlitz an einem Tisch mit goldener Glitzertischdecke, trinken Bier und rauchen. An der Decke hängen wabenartige Papierlampen, die ihre Farbe wechseln. Es ist voll geworden. Das gemischte Publikum sitzt teilweise auf dem Boden und hört aufmerksam zu.

Meinecke liest vor allem Stellen aus „Neues von der anderen Seite“ vor, in denen User von ihren Rauscherlebnissen erzählen. Ein Exsoldat konnte mit MDMA sein Trauma bewältigen. Ein Festivalbesucher griff versehentlich zur falschen Droge und durchlebte einen Horrortrip. Nachdem eine Person einen schamanischen Tee getrunken hatte, lösten sich bei ihr die Subjekt-Objekt-Grenze sowie jegliches Zeitgefühl auf.

Zwischen den Textpassagen interviewt von Kittlitz die Autoren. Die beiden haben die Substanzen selbst probiert und haben außer mit Konsumenten mit Therapeuten, Psychologen und Hirnforschern gesprochen. Sie beobachten eine Renaissance der Psychedelik. Die Tendenz sei, dass dem Psychedelischen wieder vorurteilsfreier begegnet werde. Drogen zu verbieten bringe nichts, denn der Drang nach einem Rauschzustand sei menschlich.

Nach der Lesung gehen die meisten an die Bar oder an die Luft. Der Außenbereich erinnert an eine Werkstatt. Holzpaletten und Autoreifen liegen herum. Versteckt in einer Art Gartenhäuschen, fangen die Ersten an zu tanzen. Ein Roboter steht auf dem Dach. Er leuchtet aus den Augen und dem Mund. Langsam füllt sich auch wieder das Gebäude. Wo vorher noch über Bewusstseinszustände und Rea­litätsfragen diskutiert wurde, tanzen die BesucherInnen nun zu futuristischen und galaktischen Technosounds.

Die Veranstaltungsreihe soll vieles in sich vereinen: ein Kulturprogramm wie eine Lesung oder ein Theaterstück, dann ein Konzert mit Party­atmosphäre. Sie wollen Vielfalt, Harmonie, eine besondere Mischung. „Keinen Standard- Minimal-Techno wie in anderen Berliner Clubs“, sagt Turtur. Die Ansprüche der Veranstalter sind hoch. Noch läuft nicht alles rund, doch das ist bei so viel Enthusiasmus verzeihlich. Julika Bickel