Kräftig und fit im Schritt

Mehr Lust und erfüllterer Sex? Längeres Stehvermögen? Eine leichtere Geburt? Keine Malaisen mit Rückenschmerzen, Blasenschwäche oder Hämorrhoiden? Das Geheimnis liegt im Beckenboden. Gezieltes Training soll sogar Gesichtsfalten glätten

VON MARTINA JANNING

Männer scheuen Gymnastik. Wenn sie doch welche machen, nennen sie das anders. „Aufwärmen“ oder „dehnen“ zum Beispiel. Ruth Nuriya Macia bietet Männern in ihrem Studio daher ein „Powerprogramm“. Dahinter verbergen sich Übungen für den Beckenboden. Sicher, dass sie so etwas haben, realisieren viele Männer erst nach einer Prostataoperation – wenn sie einnässen. Das ist eine häufige Folge des Eingriffs, da ein Teil des inneren Blasenschließmuskels durchtrennt wird. Doch der unfreiwillige Urinabgang lässt sich verhindern, indem der äußere Blasenschließmuskel die Funktion des inneren Schließmuskels übernimmt. Dazu muss jedoch der Beckenboden trainiert werden, jenes Geflecht aus Muskelfasern, das den Bauchraum nach unten abschließt und die inneren Organe stützt.

Es gibt allerdings weitere Gründe für Männer, ihrem Beckenboden mehr Beachtung zu schenken. Regelmäßiges Training wirkt gegen eine Vergrößerung der Prostata und Erektionsstörungen. Der Schweizer Urologe Frank Sommer stellte fest, dass Beckenbodenübungen die Durchblutung im Penis fördern und so Potenzproblemen vorbeugen oder sie sogar beheben. Außerdem ist Beckenbodengymnastik ein Jungbrunnen fürs Äußere – hält Männerpos länger knackig und Männerbeine länger stramm.

Das Geheimnis? „Im Wesentlichen geht es um eine Haltungskorrektur“, erklärt der Berliner Physiotherapeut Markus Martin, der Männer mit Inkontinenz und Erektionsproblemen behandelt. „Ein höherer Druck auf den Bauch trainiert nämlich automatisch den Beckenboden.“ Ein Tipp für den Alltag sei daher, beim Sitzen auf eine aufrechte Haltung des Oberkörpers zu achten. „Die Belastung sollte vorne liegen“, rät Martin.

Aber auch bei Frauen steigert ein gut durchbluteter Unterleib die Lust. Dieses Wissen setzt Macia in ihrem tantrischen Beckenbodentraining ein, das beiden Geschlechtern offen steht. Dabei arbeitet die Physiotherapeutin, wie in all ihren Kursen, nach dem Konzept der Schweizerin Benita Cantieni. Im Unterschied zu anderen Ansätzen zielten die Übungen nicht auf die äußere der drei Schichten des Beckenbodens, sondern auf die tiefe und die mittlere. So werde ein Anspannen der Schließmuskeln verhindert. „Das bringt nur Verspannungen“, urteilt die Berlinerin. „Die können so weit gehen, dass Verkehr nur noch unter Schmerzen möglich ist.“

Die Cantieni-Übungen setzen bei den Sitzbeinhöckern an. Macia: „Wenn man die Sitzbänder anzieht, aktiviert man automatisch den tiefen und mittleren Beckenboden, und die Schließmuskulatur wird außen vor gelassen.“ Die Impulse wirkten auf die Wirbelsäule und die ganze Muskulatur um sie herum. Deshalb helfe dieses Beckenbodentraining gegen Rücken- und Hüftschmerzen sowie Knie- und Fußbeschwerden. „Auf der Basis dieser Übungen machen wir sogar ein Face-Forming. Die Wirkung reicht über die Muskeln und Wirbelsäule bis in den Kopf. Wir kräftigen dann die haltende Muskulatur rund um den Schädel, die auch die mimische Muskulatur bildet“, erläutert die 44- Jährige. Das diene der Prophylaxe, aber auch vorhandene Falten ließen sich wieder „ausbügeln“.

Vom Gesicht zurück zum Po: Anders als herkömmliche Beckenbodengymnastik bessere die Cantieni-Variante auch Malaisen mit Hämorrhoiden, weil es die Gewebepolster nicht zusätzlich durchblute, was zu Jucken und Brennen führt.

Vielen ist der Beckenboden vor allem in Zusammenhang mit der Geburt ein Begriff. Gezielte Kräftigung während der Schwangerschaft verkürzt die Geburt und verhindert Inkontinenz, so eine norwegische Studie. Kinderkriegen belastet den Beckenboden extrem, aber Training bringt ihn wieder in Form und beugt Spätfolgen wie Blasenschwäche in den Wechseljahren vor.

Doch unfreiwilliger Urinabgang ist keineswegs nur eine Frage des Alters. Das gilt besonders für Frauen. „Die Inkontinenzpatientinnen werden immer jünger“, stellt Urologin Ines-Helen Pages fest. „Junge Frauen treiben wenig Sport. Haben sie von Natur aus sowieso ein schwaches Bindegewebe und kommt dann noch eine Schwangerschaft hinzu, müssen sie unbedingt etwas für ihren Beckenboden tun, sonst ist eine Harninkontinenz im Alter nahezu unvermeidbar.“ Die Grundlagen für eine Blasenschwäche werde heute schon in der Kindheit gelegt, erklärt die Leiterin des Kontinenz-Zentrums am Klinikum Ludwigshafen. Schon Kinder bewegten sich zu wenig und seien zu dick – beides Blasenschwäche begünstigende Faktoren. Pages: „Es sollte schon in der Schule erklärt werden, was der Beckenboden ist und wie man ihn stärken kann.“

Informationen: www.richtig-bewegt.de; www.cantienica-berlin.de; Buchtipp: Benita Cantieni: „Tiger Feeling – Das sinnliche Beckenboden-Training für sie und ihn“. Südwest Verlag 2003, 151 Seiten, 19,95 €