LeserInnenbriefe
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Ganz Bayern bekehren

betr.: „Deppen für Deutschland“, taz vom 1./2. 8. 15

Lieber Andreas Rüttenauer – eine saubere Arbeit! Mit hintersinnigem Vergnügen lasen es Leute, die sich auskennen in St. Quirin, Tegernsee und Rottach-Egern (was allerdings seit mehr als 1.200 Jahren eher zur Diözese Brixen oder zu Augsburg zählt). Da, am See, hat’s auch ein paar reing’schneite Nordlichter(Innen) gegeben, die dem Tal gehörig guttaten. Und wenn es jetzt schon einen grünen BM oder Landrat in Miesbach gibt, und die Claudia Roth gibt’s ja auch noch – warum nicht ganz Bayern bekehrn und, recht host, die taz zum grünen Bayernkurier machen!

HEIDE und MANFRED RICHTER

Die neoliberale Theorie zerlegen

betr.: „Sie verlassen die neoliberale Epoche“, taz vom 1./2. 8. 15

Was Anselm Lenz anmerkt zum Zustand von Wirtschaft und Gesellschaft, liest man gern, aber zu einer Revolution führt es sicher nicht. Wirtschaftswissenschaftler müssten zunächst die neoliberale Theorie zerlegen oder ergänzen. Diese Theorie legt dar, dass das Wohlstandsoptimum für alle Marktteilnehmer nur ohne staatliche Einflussnahme zu erreichen ist. Nur so sei das Risiko von Fehlinvestitionen zu minimieren, die wegen unvorhersehbarer gesellschaftlicher und natürlicher Prozesse nie auszuschließen sind. Soziale und ökologische Kollateralschäden sind nicht im Blickfeld.

Revolutionär wäre es schon, die Politik dazu zu bringen, die sozialen und ökologischen Folgen ihres Handelns oder Nichthandelns zu bedenken. Zu wenige Medien thematisieren aber die globale Solidarität, wie es die taz in vielen Zusammenhängen macht. Die Linke plagt sich folgenlos ab mit dem Begriff des Kapitalismus. Karl Marx konnte mit den Wirtschaftstheoretikern seiner Zeit fachkundig diskutieren. Wer schlägt sich heute kompetent herum mit der aktuellen Wirtschaftstheorie, die so viel Einfluss nimmt auf die Wirtschaftspolitik?

DIETRICH JAHN, Hannover

Epigenetik vergessen

betr.: „Ausstieg aus der Verharmlosung“, taz vom 31. 7. 15

Unser Genom enthält nicht nur nützliche Informationen, sondern auch nutzlose und schädliche Bereiche. Welche DNA-Bereiche „abgelesen“ werden, hängt von der „Verpackung“ ab. Nur die unverpackten Teile der DNA-Fäden werden „übersetzt“ und liefern die Vorlage für die Proteine. Das Muster der Verpackung muss bei jeder Zellteilung auf beide Tochterzellen weitergegeben werden, damit aus einer Leberzelle zwei Leberzellen und aus einer Hautzelle wieder zwei Hautzellen werden. Zu den schädlichen Bereichen gehören auch solche, bei denen durch den Wegfall der „Verpackung“ eine Krebszelle entsteht.

Der Forschungsbereich für diesen hoch komplexen Vorgang der Verdoppelung und Veränderung des Verpackungsmusters der DNA ist die Epigenetik. Obwohl die Epigenetik genauso wichtig für Aufbau und Funktion der Zelle ist wie die Genetik, ist sie so gut wie nicht präsent. Das führt bei der Beurteilung von schädlichen Effekten durch energiereiche Strahlen oder auch durch Gifte zu dramatischen Fehleinschätzungen.

Verantwortlich für die exakte Verdoppelung des Verpackungsmusters der DNA bei der Zellteilung ist besonders ein Enzym, die Methyltransferase. Dieses Enzym arbeitet jedoch nicht 100-prozentig exakt. Die Fehler, die sich bei den Zellteilungen im Laufe des Lebens anhäufen, sind Ursache der Alterung. Wird bei der Zellteilung diese äußerst komplexe, epigenetische Steuerung gestört, wirkt sich das im Organismus erst nach mehreren Zellteilungen aus. Erwartungsgemäß zuerst bei Geweben mit einer hohen Zellteilungsrate wie bei den Blutzellen in Knochenmark und Lymphorganen. Epigenetisch falsch programmierte Blut­zellen können dann in den Lymphknoten zu bösartigen Lymphomen heranwachsen.

Es handelt sich also um Effekte auf diejenigen Zellen, die sich gerade in Teilung (Mitose) befinden und die mit sehr geringen Dosen ausgelöst werden können. Das trifft besonders bei chronischer Bestrahlung oder chronischer Giftwirkung zu, wenn jede Zellteilung betroffen ist. Die Effekte treten verzögert auf und sind oft individuell unterschiedlich, sodass sie statistisch unter den Tisch fallen.

Ohne die Kenntnis und Berücksichtigung des Einflusses auf das epigenetische System geben uns Grenzwerte nur eine Scheinsicherheit. Erhöhte Strahlenbelastung und die Fülle der Fremdstoffe, denen der moderne Mensch ständig ausgesetzt ist, lässt für die Zukunft Schlimmes ahnen.

ANITA SCHWAIER, Angermünde

Torpedieren, drangsalieren

betr.: „Lammert erneut für Wahlrechtsreform“, taz vom 3. 8. 15

Demokratie propagieren, Plebiszite torpedieren, Plutokratie zementieren. Die Bürger ausspionieren, Gedankenverbrechen identifizieren, Opposition diskreditieren. Die Gesellschaft entsolidarisieren, Arme mit Hartz IV drangsalieren. Mit TTIP und Salamitaktik Europa und USA final faktisch fusionieren. Und mehr Zeit zum Aussitzen gewinnen, um die politische Demenz der Bürger weiter betreiben zu können.

Warum dann nicht gleich ganz auf Wahlen verzichten, Herr Lammert? Wir waren hier doch nie frei von Robber Barons, Bonzen und Bankstern. JÖRG BRÖKING, Witten