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: Der König sitzt fest

„Stella cadente“ (Spanien 2014, Regie: Luis Miñarro), für ca. 20 Euro im Handel erhältlich

Große Pläne hat der König, Amadeo (Alex Brendemühl), der als Italiener im Jahr 1870 auf den spanischen Thron kommt. Freiheit für das Volk, Demokratie, Bekämpfung der Armut, sehr schöne Dinge. Aber da hat er die Rechnung ohne die Cortes gemacht. Sie haben ihn als schwache Figur aus Savoyen geholt, damit ihr eigenes Treiben ungestört bleibe. Sein größter Unterstützer, General Marqués, fällt sogleich einem Attentat zum Opfer. Eine Münze mit Amadeos Kopf darauf wird geprägt, aber das Volk liebt ihn nicht.

Liebt ihn so wenig, dass man ihm rät, sein Schloss nicht zu verlassen. Man erinnert ihn an das, was mit dem österreichischen Maximilian in Mexiko vor Kurzem geschah (entmachtet, zum Tode verurteilt, erschossen). Er sitzt also fest. Macht hat er keine. Ein Fluchttraum aus Vogelsicht über den Bäumen, mehr Ausgang, Ausflug bietet die Erzählung ihm nicht. Eingesperrt in Einstellungen liegt er und lümmelt, hinter jeden offenen Tür ist eine andere wieder geschlossen. Zwei Jahre lang sitzt er da, ohne Macht, ein Stern, der immer nur fällt – Stella Cadente.

Das ist die Geschichte des unglücklichen Königs Amadeo, die Luis Miñarro in seinem späten, aber umso großartigeren Regiedebüt, „Stella Cadente“, erzählt.

Ein Historienfilm, wie man sich Historienfilme so vorstellt, ist das sicher nicht. Kostüme, das ja. Auch die Fakten sind mehr oder minder korrekt; den unglücklichen Amadeo hat es gegeben.

Aber wie der König gefilmt ist! Sein Leben im Schloss, die Schildkröte und ihr diamantener Schmuckpanzer, die Kerzen und ihr wundersam samtenes Licht, der Kammerdiener und seine sorgfältige Masturbation mit Melone im Grünen (oh, là, là), die Verspeisung der Melone durch den streng vegetarischen König bei Tisch (örks), die Liebe zur Köchin, der er zwischen dem Vögeln das Lesen beibringt, erst recht der Auftritt der formidablen Gattin, die erst kommt, dann eine Weile da ist und nach einem Tanz im roten Kleid wieder geht – je genauer man hinsieht, desto klarer muss man sagen: Der Film sieht fabelhaft aus, ist Szene für Szene toll nach Art altmeisterlicher Tafelbildkunst komponiert und überhaupt an Feinheiten reich, aber er hat echt nicht alle Tassen im Schrank.

Zum Beispiel steht da irgendwann: „Ende der ersten Halbzeit.“ Worauf nach einer kurzen Schwarzblende die zweite beginnt. Dazu läuft laut und ganz unverschämt anachronistisch ein Chanson. Weil der Film sonst meist die Ruhe weghat, haut dieser doppelte Stilbruch umso mehr rein. Auch ist die Anwesenheit der Gattin in Form von diabildförmigen Tableaux vivants inszeniert. Grundsätzlich gilt die Liebe der Kamera oft dem Detail, großzügig schenkt sie Körpern und Dingen Aufmerksamkeit. „Stella Cadente“ ist ein im Wortsinn exzentrischer Film.

Luis Miñarro weiß dabei ganz genau, was er tut. Mag sein, er hat mit Mitte sechzig seinen ersten Spielfilm gedreht. Er ist aber alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Vielmehr ist er im Weltkino schon länger eine recht große Nummer, hat Filme von Weerasethakul, Lisandro Alonso, Naomi Kawase und Manoel de Oliveira produziert. Die Produktionsfirma Eddie Saeta hat er angesichts widriger Umstände für das Kino in Spanien inzwischen dichtmachen müssen. Als Regisseur hat er aber schon wieder Pläne: Angekündigt ist eine Verfilmung der Salome-Geschichte, Schauplatz: das Gefängnis von Abu Ghraib. Machen wir uns auf etwas Außerordentliches gefasst.

Ekkehard Knörer