Stadtgespräch
: Intrigen im Sommerloch

Die konservative ÖVP versucht Abgeordnete anderer Parteien abzuwerben. Mit Erfolg

Ralf Leonhard aus Wien

Da waren’s nur noch sechs. Am vergangenen Dienstag gab die Nationalratsabgeordnete Jessi Lintl ihren Austritt aus dem Team Stronach bekannt. Die Fraktion des Milliardärs Frank Stronach ist in der Sommerhitze von elf auf sechs Mitglieder geschrumpft. Lintl hat vor, den Rest der Legislaturperiode, die spätestens im Herbst 2018 endet, als „wilde“ Abgeordnete abzusitzen. Den Lockrufen von Reinhold Lopatka konnte sie bisher widerstehen. Der Frak­tionschef der ÖVP hat in den vergangenen Wochen schon vier Stronach-Abgeordnete erfolgreich abgeworben.

Darunter sind auch so qualifizierte Sozialpolitiker wie Marcus Franz, der es im vergangenen April zu bescheidener Bekanntheit brachte, als er sich via Twitter in die Debatte über die strafrechtliche Neudefinition der sexuellen Belästigung einmischte: „Ob der Popsch hält, was der Blick verspricht? Das erfahren zu wollen wird bestraft“.

Pograbschen sieht er als legitimen Anbahnungsgriff. So habe er auch seine Frau kennengelernt. Welche Rolle Herr Franz heute im ÖVP-Klub spielt, war Lopatka nicht zu entlocken. Für das Team Stronach bedeutet der Aderlass auch einen wirtschaftlichen Verlust. Denn die staatliche Klubförderung bemisst sich nach der Anzahl der Fraktionsmitglieder. Die ÖVP darf sich über mehre 100.000 Euro im Jahr zusätzlich freuen.

Doch Lopatkas Intrigen dürften nicht allein dem Streben nach schnödem Mammon geschuldet sein. Vielmehr darf man dem Machiavelli im Lager der Schwarzen strategische Überlegungen unterstellen. Durch den Zuwachs von vier Abgeordneten ist die ÖVP im Nationalrat an die Mehrheitsfraktion der SPÖ, die 52 Sitze hält, bis auf ein Mandat herangerückt. So sah sich Lopatka beharrlichen Nachfragen von Journalisten ausgesetzt, ob sein Bekehrungswerk das Ziel habe, einen fliegenden Koalitionswechsel anzubahnen.

Der steirische Vollblutpolitiker gilt als Freund einer schwarz-blauen Allianz, wie sie Österreich unter Wolfgang Schüssel von 2000 bis 2007 regierte. Mit der rechten FPÖ hätten die Schwarzen jetzt eine hauchdünne Mehrheit, wenn nicht den Blauen Anfang des Sommers zwei Abgeordnete durch eine Parteispaltung in Salzburg abhandengekommen wären.

Lopatka hat derartige Pläne stets vehement dementiert. Er stünde auch gar nicht zur Verfügung, hat FPÖ-Chef Heinz Christian Strache ausrichten lassen. Warum sollte er? Die FPÖ führt seit mehreren Monaten die Umfragen an. Sollte es tatsächlich zu Neuwahlen kommen, könnte er wohl den Kanzleranspruch stellen. Bei einem fliegenden Wechsel müsste er als Juniorpartner mitmachen. Dass das der Partei nicht guttut, hat weiland Jörg Haider leidvoll erfahren müssen.

Der fliegende Wechsel muss gar nicht vollzogen werden. Es genügt, glaubwürdig damit zu drohen, um die SPÖ unter Druck zu setzen und ihr Zugeständnisse abzuringen. In der Steiermark hat das geklappt. Dort trat die SPÖ nach gemeinsamen Wahlverlusten dem Koalitionspartner den Posten des Landeshauptmanns ab, obwohl sie stärkste Partei geblieben war.

Reinhold Lopatka hat seine Köder auch schon in Richtung der Neos ausgeworfen. Die Kleinpartei wurde von gesellschaftsliberalen ÖVP-Dissidenten vor drei Jahren gegründet. In der Mutterpartei hätten sie längerfristige Aussichten, lockte der Fraktionschef.

Sollten seine Lockrufe erhört werden, könnte die ÖVP das Ergebnis der Nationalratswahlen vom September 2013 korrigieren und nachträglich zur stärksten Partei werden. Das wäre zwar noch kein Anlass, die Koalition zu sprengen, doch in der SPÖ versteht man diesen Plan als Kampfansage. Sollten die Sozialdemokraten ihren schwächelnden Kanzler austauschen wollen, stünde eine Regierungsumbildung an. Und dann könnte die ÖVP – wenn es so weit kommt – als stärkste Partei den Kanzler fordern. Der Plan könnte aber auch in die Hose gehen. Denn vor allem aus den Ländern melden sich ÖVP-Mitglieder und -Funktionäre, die Lopatkas Kabalen letztklassig finden.