Lass stecken!
: Ich will doch nur lesen

Gehört Baggern und Flirten im Schwimmbad dazu? Wer nur seine Ruhe haben will, hat es immer wieder schwer

Zufrieden und erschöpft von 1.000 geschwommenen Metern steige ich aus dem Wasser. Ich breite mein Handtuch auf der Wiese aus. In der Sonne trocknen, Kaffee trinken, Zeitung lesen – was will ich mehr? Ich mache es mir bequem und vertiefe mich in meine Zeitung.

Es dauert keine fünf Minuten, da wirft er schon seinen Schatten auf mich. Wer er ist? Keine Ahnung. Männlich, vielleicht zehn Jahre älter als ich, will mich offenbar kennenlernen. Ich ihn aber nicht.

„Hallo“, sagt er.

„Hallo“, sage ich, gucke ihm kurz in die Augen und wende mich dann wieder demonstrativ der Zeitung zu.

„Wie heißt du?“, fragt er.

„Ich heiße Katharina, aber ich würde jetzt gerne meine Zeitung weiterlesen und mich nicht unterhalten“, sage ich freundlich und bestimmt.

„Warum nicht?“, fragt er.

Och, nö.

„Weil ich in zehn Minuten los muss und jetzt einfach noch entspannt meinen Kaffee trinken und meine Zeitung lesen will.“ Mann, mann, mann.

„Warum willst du dich nicht mit mir unterhalten? Du kennst mich doch gar nicht.“

„Yep. Genau deshalb.“

Er schweigt. Ich grabe meinen Kopf tief in die Zeitung. Er hingegen lässt seinen Blick nicht von mir ab. Er hockt, ich liege. Er trägt Badehose und T-Shirt, ich nur einen Bikini. Ich spüre seinen Blick auf meiner Haut, fühle mich nackt.

„Also“, sage ich schließlich und lege die Zeitung wie ein Kleidungsstück auf meinen Oberkörper. „Kannst du mich jetzt mal in Ruhe lassen?“

„Katharina“, sagt er. „Schöner Name.“

Oh danke –wenn er gleich noch meine Augen mit Sternen vergleicht, hau ich ihm eine rein.

„Du nervst“, sage ich.

Er lässt sich nicht beirren. „Warum nerve ich? Ich möchte dich kennenlernen. Kommst du immer alleine?“

Langsam werde ich aggressiv.

„Lass mich in Ruhe!“, fauche ich.

Da klingelt mein Handy. Erleichtert gehe ich ran und rede ein paar Minuten mit einem Kumpel. „Ja, alles gut, aber hier sitzt so ein nerviger Typ neben mir“, sage ich und schiele zur Seite.

Er verzieht keine Miene, hockt unverändert da und rupft Grashalme aus. Ich plaudere ins Telefon und hoffe, dass er sich demnächst langweilt.

„Dein Freund?“, fragt er mich, als ich auflege.

„Jo.“

Er glaubt mir nicht, oder es ist ihm egal. Jedenfalls hat er nicht vor, von meiner Seite zu weichen.

Ich überlege, was meine Optionen sind. Ich könnte einen Aufstand machen. Könnte schreien, ihm drohen, mich aggressiv gebärden, um Hilfe rufen.

Ich blicke um mich herum. Auf der Wiese liegen noch andere Leute, einige gucken schon rüber, manche schütteln den Kopf. Aber keiner macht was.

Ich atme tief durch und versuche es ein letztes Mal mit dem gesunden Menschenverstand. Ich fixiere ihn und sage langsam und deutlich: „Ich will dich nicht kennenlernen. Lass. Mich. In. Ruhe. Hau ab!“

Er kneift die Augen zusammen, legt die Stirn in Falten. „Was ist dein Problem mit mir?“, fragt er in unfreundlichem Ton. „Weil ich Ausländer bin, oder was?

Ich glaub, es hackt.

„Ey!“, rufe ich laut zu seinen Kumpeln rüber, die in einiger Entfernung auf der Wiese sitzen und so tun, als würden sie die Situation nicht beobachten. „Pfeift mal euren Kollegen zurück! Der nervt derbe!“

Endlich steht der Typ auf. Er pöbelt noch, dass ich unfreundlich sei und er mein Problem nicht verstehe.

Meine Entspannung ist auch weg. Ich ärgere mich, dass ich so nett war. Das ist das Schlimmste: Hinterher ärgert man sich über sich selbst. Überhaupt sind es solche Situationen, die den Umgang mit sexueller Belästigung immer wieder so schwierig machen: Der Typ hat mir ja nichts wirklich Schlimmes getan. Er hat mich nicht begrabscht und nicht beleidigt. Er hat sich nicht explizit sexistisch geäußert, sondern hat versucht, mir nette Sachen zu sagen.

Gerade deshalb fällt es so schwer, die Aggression aufzubringen, die es in dem Moment wohl gebraucht hätte. Nächstes Mal mach ich es anders, sage ich mir. Und überlege, womit ich drohen könnte, damit so einer verschwindet. Ich nehme mir fest vor, nächstes Mal aggressiver zu sein. Und lese endlich weiter meine Zeitung. KSch