Schön für Bücher und Platten, stehen aber nur so rum und tragen an sich nicht viel zur Ordnung bei: Regale, wie das minimale Regalsystem von Industiredesigner Dieter Rams  Foto: Vitsoe/Wikimedia

Die Ordnung der Dinge

Aufräumen Wie man Ordnung hält, lernt man schon als Kind. Ein beliebtes Mittel sind Regale oder Stauraum. Doch dieser Stauraum schafft wiederum mehr Raum zum Verstauen, der neue Dinge in sich reinzieht und das Zimmer verstopft. Ist dieser Stauraum vielleicht eine Falle?

von Katrin Seddig

„So wie es um einen herum aussieht, so sieht es auch in einem selbst aus“, hat unsere Mutter früher oft vorwurfsvoll zu uns gesagt. Um mich herum sah es meistens unordentlich aus, oft sogar sehr unordentlich, aber weder dieser Umstand noch die Möglichkeit einer inneren Unordnung haben mich eigentlich beunruhigt. Ich war als Kind immer sehr beschäftigt, mit Lesen und Zeichnen und Schreiben und vor allem mit Denken.

In meinem Kopf häuften sich die Gedanken wie die Bücher und die Wäsche und das Geschirr in meinem Zimmer. Aber ich konnte mich dem nicht ungestört hingeben, denn als Kind hat man meist nicht die freie Wahl und unsere Mutter quälte uns mit Vorwürfen und zwang uns, aufzuräumen.

Heute quäle ich meine eigenen Kinder und zwinge sie, aufzuräumen, obwohl ich selbst immer noch kein ordentlicher Mensch geworden bin.

Ich weiß, wie man Ordnung hält. Ich habe Bücher darüber gelesen. Ich habe es selbst beobachtet, bei anderen Leuten, die es können. Aber ich kann es nicht. Ich weiß, dass man Dinge, die man benutzt hat, immer gleich wegpacken soll, wenn man mit dem Benutzen fertig ist. Das wird schon dem Kleinkind beigebracht, dass es die Bausteine nach dem Spielen in die Kiste packen soll.

Ich kenne Kleinkinder und sie bringen meist ein gutes Argument gegen das Aufräumen an: Sie sagen, sie seien noch gar nicht fertig mit dem Spielen.

Später, nachher, morgen, brauchen sie die Bausteine wieder. Und das ist der Punkt. Der ordentliche Mensch denkt nicht an morgen oder gestern, der ordentliche Mensch spielt jetzt nicht und räumt die Bausteine jetzt in die Kiste. Der unordentliche Mensch ist sich nicht sicher, er ist ein Zweifler und Grübler, er ist kein Jetzt-Mensch.

Ähnlich geht es ihm mit dem Wegwerfen, Verschenken, Spenden. Der ordentliche Mensch braucht Dinge jetzt nicht und entledigt sich ihrer jetzt. Der unordentliche Mensch fragt sich, ob die Dinge nicht in der Zukunft noch einen Nutzen für ihn haben könnten. Für den unordentlichen Menschen reicht es sogar schon, wenn die Dinge einen abgelaufenen Nutzwert haben, um sie nicht wegzuwerfen.

Die staubige Muschel, der zerfledderte Brief, das selbstgenähte Hemd, die vertrocknete Blume, der getöpferte Aschenbecher, die Kinokarte und die alte Puppe, er nennt das Erinnerungen. „Das sind doch Erinnerungen, das kann man doch nicht wegwerfen“, denkt er sich. Der unordentliche Mensch erinnert sich anhand von Dingen. Er spekuliert auf den Tag, wo er irgendwann, ganz weit in der Zukunft, all diese Dinge ansehen und sich glücklich erinnern wird.

Zu diesem Zweck sammelt er immer neue Erinnerungen in Form von Dingen an. Bis zu dem Tag, der vor dem Tag liegt, an dem er damit aufhören muss, neue Erinnerungen anzusammeln, weil er die ganzen aufgestapelten Erinnerungen ja erst mal in Ruhe aberinnern muss.

Ich weiß also, dass man Sachen wegschmeißen, spenden, verschenken muss. Zu diesem Zweck muss man sortieren. Man kann nicht eine Schublade einfach in eine Tüte kippen und die Tüte dann in den Müll tun.

Man kann das tun, aber dann kippt man eventuell den Fahrradzweitschlüssel mit weg und den Impfausweis und die Knöpfe in der kleinen Tüte für den Wintermantel. Das ist das Problem.

Ich sitze vor einer Schublade und muss ungefähr 74 Entscheidungen über 74 kleine Dinge treffen und bin dann einfach erschöpft. Am Ende habe ich eine Schublade mit noch 21 Dingen und fünf Wochen später nähert sich aber der Inhalt der Schublade wieder der 74 an. 74 ist ihre Zahl. Sie ist mit 21 nicht zufrieden. Halbleere Schubladen sind offenherzig, frivol. Man muss einfach Sachen in sie reinschmeißen, sonst sind sie nicht zufrieden.

Ein anderer wichtiger Ordnungsrat ist, allen Dingen ihren Platz zuzuweisen. Geben sie dem Hausschlüssel einen Haken, der Jacke einen Bügel, dem Pfandglas eine Kiste, den Schuhen ein Regal und so fort. Das habe ich versucht, aber es gibt Dinge, die entziehen sich dem System, weil sie kein Pfandglas sind und kein Schuh und keine Jacke, sie sind neu in meinem Haushalt und sie haben nichts, wo sie rein- und ranpassen.

Sie sind einzigartig und unklassifizerbar. Sie werden –erst mal –irgendwo hingetan. Sie sind nicht allein, sie bekommen Brüder und Schwestern. Sie gehören einer ganzen Serie von Gegenständen an, die sich nicht ordnen lassen. Man sollte sie am besten nicht anschaffen. Ich denke, das ist ein guter Rat.

Ein anderer beliebter Ordnungsrat ist, sich Stauraum zuzulegen. Mir gefällt der Gedanke des Verstauens auch ganz gut, aber mir hat der Stauraum leider nicht geholfen. Jeder neue Stauraum, der bei mir einzog, zog neue Dinge in sich rein und der Raum um den Stauraum herum wurde einfach nicht aufgeräumter. Es gibt so Läden, die besonders viel Stauraum bei sich führen, Ikea zum Beispiel, aber jeder, der sich Stauraum zulegt, sollte bedenken, dass Stauraum auch ein Ding ist. Es steht oft einfach nur mehr Stauraum im Zimmer, wenn man sich den erst mal anschafft, und verstopft das Zimmer mit sich selbst. Ich kannte Menschen, die hatten quasi gar keinen Stauraum und waren sehr aufgeräumt. Deshalb habe ich den leisen Verdacht, dass Stauraum vielleicht eine Falle ist.

Ich sitze vor einer Schublade und muss ungefähr 74 Entscheidungen über 74 kleine Dinge treffen und bin dann einfach erschöpft. Am Ende habe ich eine Schublade mit noch 21 Dingen, fünf Wochen später sind es wieder 74

Dasselbe gilt für Regale. Regale sind schön für Bücher und Platten und kleine gerahmte Fotos von der Familie. Aber sie stehen nur so rum und sehen nett aus und tragen nichts zur Ordnung bei. Sammlungen von Platten sehen immer nett aus. Sammlungen von Büchern auch. Wenn ich irgendwo hinkomme, wo Menschen so was haben, dann bin ich immer gleich für sie eingenommen. So was sagt ja was aus.

Mit Büchern und Platten sagt man immer etwas über sich aus. Man tut das auch für die anderen Menschen, die einen besuchen und was von der Wohnung gesagt bekommen wollen. Aber Ordnung schafft das nicht direkt. Behaglichkeit vielleicht. Ähnliches gilt für Pflanzen. Pflanzen können auch Behaglichkeit schaffen. Aber das nur, wenn sie wachsen und nicht schimmeln oder vertrocknen. Deshalb habe ich es mit Pflanzen aufgegeben.

Was ich aber uneingeschränkt empfehlen kann, das sind Schränke mit Türen. Schränke sind eine gute Sache und ja auch Stauraum, genaugenommen. Sie stehen an der Wand, sehen von außen immer aufgeräumt aus und man kann meistens ziemlich viele Sachen hineinlegen. Man kann sogar noch Dinge oben drauflegen. Koffer zum Beispiel. Und in die Koffer kann man auch wieder Sachen reintun. Die Kombination Schrank und Koffer ist eine zurecht beliebte. Nicht zu empfehlen sind viele kleine Gegenstände, die auf den Regalen und den Fensterbrettern liegen. Räucherstäbchenhalter, Buddhas, Kieselsteine, Eifeltürme, Geschnitztes, Gefaltetes, Gefundenes, Skurilles und Pittoreskes, vom Trödelmarkt, von der Oma (Erinnerung!), von der früheren Freundin.

Natürlich habe ich so was alles auf meinen Regalen und meinem Fensterbrettern rumliegen. Aber ich habe es auch nicht ordentlich. Wenn ich mal in Versuchung komme, Staub zu wischen oder das Fenster zu putzen, dann sehe ich mich einer so umfangreichen Räumarbeit gegenüber, dass ich häufig in einen Zustand müder, innerer Resignation abgleite. Deshalb rate ich von der Ansammlung solcher kleinen Dinge ab.

Ich rate sowieso und ganz allgemein von der Anhäufung von Dingen ab. Zusammenfassend möchte ich folgende Ratschläge geben: Kaufen sie nichts. Werfen sie viel weg. Erwerben sie keinen Stauraum. Stellen sie sich einen Schrank mit Türen auf. Legen sie Koffer obendrauf. Klammern sie sich beim Aufräumen weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit. Und vor allem, setzen Sie sich nicht unter Druck.

Wenn Sie sich bei sich zu Hause wohlfühlen, ist es ordentlich genug.