„Das ist die offizielle Anerkennung des Notstands“

Das bleibt von der Woche Die SPD schlägt vor, das Dragoner-Areal zum Sanierungsgebiet zu erklären, Ai Weiwei läuft einfach so durch Berlin, schon zum dritten Mal bekommen Bauarbeiter der Mall of Berlin vor Gericht ihren gerechten Lohn zugestanden, und der Senat gründet endlich einen „Koordinierungsstab Flüchtlingsmanagement“

Die neue rot-grüne Koalition

Dragoner-Areal

Auffällig oft loben gerade die Bezirksgrünen die Landes- und Bundes-SPD

Das Rathaus Kreuzberg, von dem auch noch das jenseits der Spree gelegene Friedrichshain verwaltet wird, ist fest in grüner Hand. Das freut die Bezirksgrünen natürlich, auch wenn sie mit der besetzten Schule und dem Görlitzer Park auch ein paar unerfreuliche Themen an der Backe haben.

Ganz und gar kein Grund zur Freude ist dagegen das, was sich auf dem 47.000 Quadratmeter großen Grundstück abspielt, auf das die meisten Grünen aus dem Rathaus schauen können. Denn dem Dragoner-Areal, bislang ein unaufgeregtes Gewerbegebiet mit Künstlern, Werkstätten und einem Biospupermarkt, droht die Schickimickisierung durch einen Wiener Investor.

Auch deshalb loben die Bezirksgrünen derzeit auffällig oft die liebe SPD. Und die ist, anders als bei anderen Themen, in Sachen Dragoner-Areal tatsächlich liebenswert.

Die Berliner SPD-Bun­destags­ab­geor­dneten machen Wir­bel und fordern eine andere Liegenschaftspolitik. Ein ums andre Mal setzen sie den Kaufvertrag des Areals von der Tagesordnung des Finanzausschusses im Bunderat, damit er weiter „schwebend unwirksam“ bleibt. Und nun hat auch noch Neufinanzsenator Kollatz-Ahnen am Montag vorgeschlagen, aus dem Areal ein Sanierungsgebiet zu machen. Das würde den endgültigen Verkauf an den Wiener Investor vielleicht nicht verhindern, diesem aber das Leben maximal schwer machen.

Das Engagement, mit dem die Sozialdemokraten hier zu Werke gehen, zeigt bereits jetzt, welche zentrale Rolle das Thema Stadt­entwicklung im Wahlkampf spielen wird und wer ihre natürlichen Bündnispartner sind. Sollten SPD und Grüne tatsächlich Erfolg auf dem Dragoner-Areal haben, wäre das auch ein Zeichen für einen baldigen Koalitionswechsel im Senat. Die CDU hat bei diesem Thema nichts zu bieten. Uwe Rada

Ein Kunstwerk
an der Straße

Ai Weiwei wird Professor

Nun hat er also ganz offiziell grünes Licht für ein Leben in Berlin bekommen

Und dann ist er einfach da und wartet auf Grün. „Schau mal, da steht Ai Weiwei an der Ampel“, sagt die Beifahrerin und freut sich. Tatsächlich sieht es so aus, als würde sich der chinesische Künstler gerade in Szene setzen, wie er es schon so oft gemacht hat, und ein Foto davon ­später im Netz veröffentlichen. Ein kleines nachmittägliches Kunstwerk, hier an der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg, ­während die Autos vorbeirauschen.

Irgendwie hat die Szene auch etwas Künstliches. So richtig kann man noch nicht glauben, dass der Mann, der vier Jahre lang China nicht verlassen durfte; der wegen seiner Kritik an Missständen in China 2011 für 81 Tage verschleppt wurde; dessen große Berliner Ausstellung im Sommer 2014 eine permanente Mahnung für seine Freilassung war: dass dieser Mann jetzt also durch die Stadt spaziert – und dass sein Anblick bald noch häufiger sein könnte.

Am Dienstag gab die Universität der Künste (UdK) bekannt, dass der 57-Jährige bereits im Oktober dort seine auf drei Jahre angesetzte Gastprofessur antreten will. Wie die aussehen soll, ist noch offen: „Ai Weiwei arbeitet in vielen Disziplinen und ist prominent etwa als Bildhauer, Performancekünstler, Filmemacher und Architekt hervorgetreten, also wollen wir hier keine Schranken errichten“, sagte der Präsident der UdK, Martin Rennert, nach dem ersten Gespräch. Es wurde aber vereinbart, dass es eine öffentliche Antrittsvorlesung geben soll.

Die Zusammenarbeit und die intensivere Beziehung zu Berlin sind schon lange geplant: Die UdK-Professur wurde Ai Weiwei bereits 2011 angeboten. Kurz zuvor hatte er mit dem Ausbau eines ehemaligen Brauereikellers in Prenzlauer Berg zu einem Atelier begonnen; sein sechsjähriger Sohn wohnt sei einiger Zeit in der Stadt. Nun hat er also ganz offiziell grünes Licht für ein Leben in Berlin bekommen.

Und in ein paar Jahren wird sich niemand mehr über den kompakten Mann wundern, wenn er so an der Ampel steht. Weil man sich in Berlin über Promis ja nur ausnahmsweise und in ganz besonderen Fällen wundert. Bert Schulz

Was zählt schon die Moral?

„Mall of Shame“-Urteil

Der „König der Einkaufszentren“ ist fein raus. Es gibt keine rechtliche Handhabe

Bei der Eröffnungsfeier der Mall of Berlin präsentierte sich Harald Huth als strahlender Sieger. Mit Nochbürgermeister Klaus Wowereit posierte er vor den Kameras. Der bedankte sich artig und pries Huth als Investor, „der unsere Stadt immer wieder engagiert mitgestaltet“.

Das war im September 2014. Was sich während der Bauzeit der Mall hinter den Kulissen abgespielt hat, war damals noch nicht bekannt. Geschadet haben die schlechten Nachrichten Huth indes nicht. Es gibt eben Menschen, die schwimmen immer oben. Egal was passiert.

„König der Einkaufszentren“ hat die Springer-Presse Huth getauft. Das Steglitzer Schloss, die Gropius-Passagen und die Zehlendorfer Welle gehen auf sein Konto. Im Schultheiss-­Quartier in Moabit realisiert Huth derzeit sein nächstes Mall-­Projekt. Dass rumänische ­Bauarbeiter wochenlang vor der Mall of Berlin demonstriert und ihr den Namen „Mall of Shame“ gegeben haben, weil sie um ihren Lohn geprellt worden sind: Geschenkt! Dass die Staatsanwaltschaft gegen Huth wegen unbezahlter Rechnungen für Fassadenarbeiten ermittelte: Who ­cares? Für einen Investor, der von sich behauptet, seit 2007 über 500.000 Qua­drat­meter Gewerbefläche in Berlin ­geschaffen zu haben, sind das Pea­nuts.

Dass die alten Geschichten jetzt wieder hochkommen, liegt daran, dass die Bauarbeiter keine Ruhe geben. Am Donnerstag hat das Arbeitsgericht zum dritten Mal einem Kläger recht gegeben und ihm eine Lohnnachzahlung von 6.700 Euro zugesprochen. Vergangene Woche waren zwei Rumänen erfolgreich gewesen. Dem einen waren von der Openmallmaster GmbH 1.226 Euro vorenthalten worden, dem anderen 4.411 Euro.

Openmallmaster war eines von vielen für den Bau der Mall angeheuerten Subunternehmen. Huth hat sich immer damit herausgeredet, die von seiner Seite beauftragte Baufirma sei überpünktlich bezahlt worden. Dumm nur, dass die zentrale Firma inzwischen bereits zum zweiten Mal in die Pleite geschlittert ist.

Das Arbeitsgericht hat den rumänischen Bauarbeitern in ihren Ansprüchen recht gegeben, aber eintreiben müssen sie ihre Löhne selbst. Die Männer täten gut daran, schnell eine vorläufige Zwangsvollstreckung bei dem Subunternehmen Openmallmaster zu beantragen. Vorläufig deshalb, weil das Urteil des Arbeitsgerichts noch nicht rechtskräftig ist. Es geht darum, sicherzustellen, dass die Firma nicht plötzlich Insolvenz anmeldet. Dann wäre nämlich nichts mehr zu holen.

Huth dagegen ist fein raus. Es gibt keine rechtliche Handhabe gegen ihn. Und „Moral“ ist für Leute seines Schlags bekanntlich ein Fremdwort. Dabei handelt es sich bei den Löhnen um so erbärmliche Summen, dass er sie locker aus seiner Portokasse bezahlen könnte.

Plutonia Plarre

Das Chaos auch mal feiern

„Flüchtlingsmanagement“

Die Welt ändert sich, und auch unsere Gesellschaft wird sich verändern

Die Welt ändert sich, und viele Menschen, die davon betroffen sind, reagieren aktiv darauf. Sie handeln, etwa indem sie die Orte verlassen, an denen sie nicht mehr sicher sind, ihren Hunger (nach Essen, Bildung, einem anständigen Leben) nicht mehr stillen können, ihre Grundrechte missachtet werden. Das ist eine richtige und berechtigte Reaktion.

Mit ihr kommt Globalisierung auch bei uns an. Und löst zunächst Chaos und damit Angst und Schrecken aus. Rasant steigende Flüchtlingszahlen führten in Berlin dazu, dass deutsche Beamte und Behörden Gesetze brechen, ihre eigenen Vorschriften missachten, ihre Akten nicht mehr ordentlich führen – eine eigentlich fast unvorstellbare Situation. Die auch wir als taz angeprangert haben: weil sie in der Regel zum Schaden der Flüchtlinge und zum Nutzen etwa gewinn­orientierter Flüchtlingsheimbetreiber führt.

Doch vielleicht sollten gerade wir diesen Zustand, diese Entwicklung, dieses Chaos eigentlich feiern. Man kann das nämlich auch aus einer ganz anderen Perspektive sehen. Das für die Versorgung Asylsuchender zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) hat Recht gebrochen beim Aufbau neuer Flüchtlingsheime – um Menschen möglichst schnell Obdach zu geben: um zu helfen.

Der Senat hat diese Woche einen „Koordinierungsstab Flüchtlingsmanagement“ gegründet, der die Macht hat, weit in die Befugnisse von Landes- und Bezirksbehörden und sogar landeseigenen Unternehmen einzugreifen. Er kann Verfahrensabläufe und Vorschriften verändern, Personal versetzen, Kooperation erzwingen und eventuell sogar Bezirken Aufgaben entziehen.

Das ist eine überraschend fundamentale Reaktion des ­Senats auf das bisher äußerst chaotische „Flüchtlingsmanagement“ der Hauptstadt. Denn sie ist nicht nur die offizielle Anerkennung eines Notstands. Sie stellt einen echten Paradigmenwechsel dar: Es geht nicht mehr darum, wachsende „Flüchtlingsströme“ in geltende Vorschriften und Abläufe zu pressen, sondern umgekehrt darum, diese Vorschriften der sich ändernden Realität anzupassen.

Die Welt ändert sich, sie gerät in Bewegung, und auch unsere Gesellschaft wird – denn sie muss – sich verändern. Es ist jetzt nicht mehr ganz ausgeschlossen, dass das auch im Senat verstanden wurde.

Alke Wierth