: Hilfe mit Mundpropaganda
ASYL Nach beschwerlicher Reise erst mal in die Buttmannstraße: Der Salam Kulturklub in Wedding ist eine über Berlin hinaus bekannte Anlaufstelle für syrische Flüchtlinge
von Alke Wierth
Die drei Männer, die das kleine Vereinscafé Salam in der Weddinger Buttmannstraße betreten, sehen müde aus. Am Gewicht der Rucksäcke, die sie bei sich tragen, kann das kaum liegen – allzu viel scheint nicht drin zu sein. Sie haben einen Weg hinter sich, den viele Berliner in drei Stunden und für etwa 300 Euro mit dem Flugzeug absolvieren. Die drei haben dafür acht Tage und 3.000 Euro pro Person gebraucht.
Sie sind Flüchtlinge aus Syrien, vor einem Tag in Berlin angekommen. Dass ihr Weg sie in die Buttmannstraße führt, verdanken sie der Mundpropaganda unter denen, die vor dem für die Versorgung Asylsuchender zuständigen Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in der Moabiter Turmstraße campieren.
Während Ibrahim Alsayed, selbst Syrer und neben dem aus Syrien geflüchteten Journalisten Houssam Aldeen Mitgründer des Salam Kulturclubs, am Telefon versucht, Hostelplätze für die drei zu finden, erzählt einer von ihnen von der Flucht. Die Überfahrt mit einem Schlauchboot von der Türkei nach Griechenland, 1.100 Dollar, mit dem Zug zur mazedonischen Grenze, wo die Grenzer die Flüchtlinge durchwinkten, dann Serbien, wo sie sich vor Uniformierten in Acht nehmen mussten. Durch Ungarn ging es in einem Van ohne Fenster. „Ungarn ist gefährlich für uns“, sagt der Mann, der sich für sein holpriges Englisch entschuldigt: „Ich habe seit Tagen nicht richtig geschlafen.“ Er ist Architekt, seine Begleiter Wirtschaftswissenschaftler. Frauen und Kinder haben sie in Syrien gelassen.
In Sachsen wurden die drei von der Polizei aufgegriffen. Dort wurden die Asylsuchenden dem Land Berlin zugeteilt und zur hiesigen Erstaufnahmestelle in der Spandauer Motardstraße gefahren – wo man sie trotz der offiziellen Zuteilung abwies: Es gebe keinen Platz, hieß es, erzählt der Syrer. Das war um 18 Uhr. Sie hätten dann einige Stunden in einem U-Bahnhof geschlafen, sich aus Angst vor der Polizei aber schon nachts zum Lageso aufgemacht, wo die Stadtmission mehrere Zelte für die aufgestellt hat, die auf die Annahme ihrer Anträge durch die angesichts steigenden Flüchtlingszahlen völlig überforderte Behörde warten. „Um 5 haben wir uns dann in die Warteschlange gestellt“, erzählt der Mann, 40 Leute seien da schon vor ihnen gewesen. Bis 15 Uhr mussten sie warten, dann wurden ihre Anträge entgegengenommen, sie bekamen Hostelgutscheine.
Die syrischen Flüchtlinge, die seit Juni gegenüber dem Dortmunder Hauptbahnhof für eine schnellere Bearbeitung ihrer Asylanträge protestieren (taz berichtete), wollen ihr Camp vermutlich Ende dieser Woche nach Berlin verlegen. Der genaue Ort, an dem die 30 bis 50 Protestierenden sich niederlassen wollen, stehe noch nicht fest, sagte ein Berliner Unterstützer gegenüber der taz. Auch fehle es noch an Geld für den Umzug nach Berlin.
Ibrahim Alsayed hält den Daumen hoch. Ihm ist es gelungen, ein Hostel zu finden, das die drei aufnimmt, noch am gleichen Abend. Keine leichte Aufgabe: Immer mehr Flüchtlinge in Berlin schlafen in Parks oder auf Bahnhöfen, weil viele Hostels die Gutscheine nicht mehr akzeptieren – unter anderem, weil das Lageso sie oft erst nach Monaten bezahlt. Die regulären Flüchtlingsheime sind längst überfüllt.
Die Männer nehmen ihre Rucksäcke, Houssam Aldeen wird sie zu der Unterkunft bringen. Alsayed lächelt, auch er sieht müde aus. „So arbeiten wir hier“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Der 38-jährige Agrarökonom lebt seit zehn Jahren in Deutschland, hat hier in Biostatistik promoviert und arbeitet selbstständig als Forscher und Wissenschaftler. Im März haben Aldeen und er das Salam eröffnet, seit Kurzem ist es als Verein eingetragen. Sie warten auf die Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit, dann können sie Finanzhilfen beantragen. Bisher läuft die Beratung ehrenamtlich, mit dem Verkauf von Getränken kommt Geld für die Miete zusammen, „das manchmal auch für den Strom reicht“, sagt Alsayed. Manchmal zahlt er auch drauf.
Am Abend füllen sich die zwei Räume. In einer Ecke sitzt ein junger Mann neben Krücken, lange Schrauben ragen aus seinem Bein, das eine Fassbombe zerfetzte. In einer Ecke der gemütlichen Sitzbänke plaudern syrische Ärzte, in einer anderen Theaterleute. Manchmal springt einer auf und umarmt einen Neuankömmling – es kommt oft zu unerwarteten Wiedersehen in dem Treffpunkt, dessen Existenz sich weit über Berlins Grenzen herumgesprochen hat.
Idealismus und Spaß
Alsayed sitzt über Formularen und offiziellen Schreiben, übersetzt und erklärt. Im Nebenraum gibt der Sprachwissenschaftler Achim Sander ehrenamtlich Deutschkurse: „Aus Idealismus und weil es mir Spaß macht“, sagt er. Früher habe er russlanddeutsche Einwanderer unterrichtet, heute sind es eben Syrer.
Die Hilfsbereitschaft sei groß, sagt Alsayed, „aber auch der Bedarf“. Immer öfter kommen ins Salam Neuankömmlinge, denen das Lageso keine Schlafplätze zugewiesen hat. Zur Not werden sie übergangsweise von denen beherbergt, die schon eigene Wohnungen haben. Die Anerkennung erfolgt bei syrischen Flüchtlingen meist schnell, doch mit dem Deutschlernen und der Anerkennung ihrer Berufsabschlüsse geht es vielen der oft gut Ausgebildeten nicht schnell genug. Auch die Wohnungssuche ist ein Problem. Viele im Salam dürften längst aus den Flüchtlingsheimen ausziehen. Doch da viele Eigentümer, selbst städtische Wohnungsgesellschaften, kaum an Flüchtlinge vermieten, blockieren sie die Heimplätze, die die Neuankömmlinge bräuchten.
Er wolle nun Deutsch lernen und versuchen, Arbeit zu finden, sagt der neu angekommene Architekt, bevor er sich auf den Weg zum Hostel macht. Dass er die erste Nacht in Deutschland auf der Straße verbringen musste, hat ihn nicht überrascht: „Wir haben ja gesehen, wie viele sich auf den Weg hierher machen.“
salamkulturclub.de
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