Obamas Auftragsdichter

In Kuba gezeugt, in Spanien geboren, in Miami aufgewachsen

Es war die zweite Amtseinführung des ersten schwarzen US-Präsidenten. Zum fünften Mal las ein Dichter ein Gedicht, zum ersten Mal war es ein schwuler, lateinamerikanischstämmiger Poet – und der jüngste war Richard Blanco, 44, auch noch.

Blanco, offenbar ausgewählt, um sowohl jener gewandelten Demografie als auch Obamas progressiven Werten von Toleranz und Inklusion Ausdruck zu verleihen, hatte gut einen Monat Zeit gehabt, um sich darauf vorzubereiten. Drei Gedichte musste er schreiben, das Obama-Team wählte eines aus, Titel: „One Today“. Darin heißt es unter anderem: „Alle von uns so lebendig wie das Licht, durch das wir uns bewegen / das gleiche Licht auf Tafeln mit Hausaufgaben / Gleichungen, die gelöst werden wollen, Geschichte, die hinterfragt werden will, Atome, die man sich vorstellen muss / das „Ich habe einen Traum“, das wir weiter träumen, / oder das unmögliche Vokabular der Trauer, / das die leeren Bänke von 20 Kindern nicht erklären kann, die heute fehlen / heute und für immer.“ Ein Auftragswerk, mit dem Ziel, Geschichte und Aktualität zu vereinen.

In Kuba gezeugt, in Spanien geboren, in Miami aufgewachsen, steht Blanco für eine Generation von US-AmerikanerInnen, die starke Familienwurzeln im Süden haben, sich aber niemals als MigrantInnen gefühlt haben, auch wenn sie mitunter so behandelt wurden. Die Gedichte in den ersten zwei Bänden, die Blanco veröffentlicht hat, beschäftigen sich vor allem damit – mit dem Aufwachsen zwischen zwei Kulturen. Thema des dritten Bandes, der unter dem Titel „Looking for the Gulf Motel“ im vergangenen Jahr erschien, ist seine eigene Homosexualität, als schwuler US-Amerikaner mit kubanischen Wurzeln und Familie.

Blanco hat Ingenieurwissenschaften studiert, und noch immer steht er auf der Gehaltsliste einer Firma in Maine, wo er mit seinem Lebensgefährten wohnt. Er hat Brücken entworfen und Gebäudekomplexe, gleichzeitig hat er geschrieben – zuerst, mit Anfang 20, eine Art Selbsttherapie, um seiner Identitätskrise zwischen Kuba und den USA, Mainstream und Homosexualität zu begegnen.

Seit Montag ist er bekannt, selten werden Gedichte vor solchen Menschenmengen vorgetragen. Bislang hatten nur John F. Kennedy 1961 und Bill Clinton bei seinen beiden Vereinigungen Dichter bemüht. Blanco hofft, dass das Tradition wird. BERND PICKERT

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