„Eine Stadt kann sich ihre Jugend-bewegung nicht aussuchen, sonst wäre es keine echte Bewegung“

Das bleibt von der Woche Die European Maccabi Games finden eher leise statt, der „Zug der Liebe“ geht lautstark über die Bühne, die Initiatoren des Mietenvolksbegehrens beschließen, die Gespräche mit dem Senat nicht abreißen zu lassen, und der Regierende Bürgermeister hat kein offenes Ohr für einen offenen Brief des Flüchtlingsrats

Das wäre eine Chance gewesen

European Maccabi Games

Sind die Spiele, sind die jüdischen SportlerInnen wirklich präsent in der Stadt?

Die European Maccabi ­Games sind in der Stadt, die Europameisterschaften jüdischer Sport­le­rInnen. Erstmals finden die Wettkämpfe seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, seit dem Ende der versuchten Ausrottung der Juden durch Deutsche, in Deutschland statt.

Das ist eine Freude und eine Ehre für Berlin. Doch sind die Spiele, sind die jüdischen SportlerInnen wirklich präsent in der Stadt? Ja, jeder, der möchte, kann die Wettkämpfe im Olympiastadion besuchen, der Eintritt ist frei.

Doch welche Begegnungen finden darüber hinaus statt? Die gut 2.000 TeilnehmerInnen sind im Neuköllner Hotel Estrel untergebracht – in keinem Bericht darüber wird der Hinweis darauf vergessen, mit welchen Sicherheitsvorkehrungen, mit welchen Warnungen die Sportler in dem multikulturellen Stadtteil, in dem auch viele palästinensische Einwanderer leben, versehen werden.

Dass zeitgleich mit dem Beginn der Wettkämpfe, die vom 27. Juli bis zum 5. August dauern, eine neue Onlineplattform zum Melden antisemitischer Vorfälle eingerichtet wird, ist erklärbar – und hinterlässt dennoch einen traurigen Beigeschmack.

Ist Berlin nicht, in Ansätzen, auch anders vorstellbar? In Neukölln hat sich die Initiative Salaam-Schalom gegründet, die sich für eine Verständigung von Juden und Muslimen engagiert (ja, es leben Juden in Neukölln – immer mehr).

Knapp 200 Meter vom Hotel Estrel entfernt befindet sich ein Jugendzentrum, frequentiert auch von zahlreichen Jugendlichen palästinensischer Herkunft, das seit Jahren einen Austausch mit Israel pflegt. Dass die Spiele in und von der Hauptstadt nicht genutzt werden, um auch solche Seiten Berlins zu präsentieren, um auch da Begegnungen zu organisieren, ist eine vertane Chance.

Alke Wierth

Bewegung aus dem Museum

„Zug der Liebe“

Die Organisatoren hätten sich noch mehr politische Parolen gewünscht

Eine Stadt kann sich ihre Jugendbewegung nicht aussuchen, sonst wäre es keine echte Bewegung. Doch wenn sie – die Stadt, nicht die Jugendbewegung – Glück hat, kann sie früher oder später mit den einstigen Avantgarde-Teenies und -Twens werben. Das klappt selbst mit depressivsten Dingen; so adelt sich das englische Manchester selbst als Geburtsort der New-Wave-Miterfinder Joy Division, die nicht gerade Gute-Laune-Musik machten. Kein Wunder also, dass sich Berlin gern mit der Technomusik und ihrer skurrilsten Ausprägung, der Loveparade, schmückt.

Vor diesem Hintergrund bedauern manche, dass es mit der Bumm-Bumm-Nummer so bergab ging, dass sie am Ende im Westen der Republik sogar Menschen unter sich begrub.

Am Samstag haben zwei Menschen versucht, den Geist der alten Loveparade wiederzubeleben, ohne all deren Nebeneffekte, und den Namen zu re­ani­mieren: Ihr „Zug der Liebe“ blieb mit rund 25.000 Teilnehmern bei bestem Wetter kleiner, ruhiger und vor allem sponsoren- und merchandisinglos – und war damit viel charmanter als das untergegangene Vorbild. Sogar dreijährige Mädchen ließen sich am Straßenrand von der Musik zum ekstatischen Tanzen bewegen.

Natürlich war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen: Die Organisatoren hätten sich noch mehr politische Parolen und Plakate gewünscht, schließlich war der Zug ganz offiziell eine Demo – ein Status, der der Loveparade zuletzt versagt blieb. Und etwas weniger einfach strukturierte Jungmänner, denen man schon in normalen Zustand nicht begegnen will und im deutlich alkoholisierten wie am Samstag schon gar nicht, hätten der Stimmung gutgetan.

Letztlich war die Parade vor allem eine museal angehauchte nette Reminiszenz an das große Vorbild, da dürfen auch ein paar Schattenseiten präsent sein. Und da der Zug der Liebe niemals die Auswüchse der Loveparade erreichen wird – dafür ist Straßentechno einfach zu oll und zu öd – kann man der nächsten Auflage 2016 entspannt entgegen sehen. Wer will, kann sich sogar darauf freuen.

Bert Schulz

Senat
braucht
die Initiative

Mietenvolksbegehren

Die Gespräche mit dem Senat gehen weiter. Eine Scheidung sieht anders aus

Es gibt da diese Geschichte, die sich liest wie bei einer in die Brüche gegangenen Beziehung. Als sich vor vier Jahren SPD und CDU auf Koalitionsverhandlungen geeinigt hatten, übergaben einige Mieterinitiativen den Verhandlungsführern vor dem Roten Rathaus ein ausführliches Dossier mit dem Titel „Ein Recht auf Stadt für alle“. In dem ausführlichen Papier standen keine Parolen, wie man vielleicht erwarten hätte können, sondern detaillierte Lösungsvorschläge. Das war der Anfang der Beziehung zwischen Mieterinitiativen und Senat.

Den zweiten Schritt machte die Senatsverwaltung für Stadt­entwicklung, die im Abgeordnetenhaus zu einem Runden Tisch Mietenpolitik einlud. Die Beziehung wurde vertieft. Und dann, plötzlich, das scheinbare Ende, als sich ein Teil der Aktivisten aus den Gesprächen zurückzog und im Frühjahr das Mietenvolksbegehren startete. Von einem Vertrauensverlust war beim ein oder anderen Senatsvertreter die Rede, weil sich die Aktivisten viel Detailwissen angeeignet hätten, das sie nun gegen den Senat verwenden würden.

Man kann es aber auch anders sagen. Ohne die Aktivisten wäre auch das Problembewusstsein in der Verwaltung weniger scharf ausgebildet gewesen. So gesehen überrascht es nicht, dass die Initiatoren des Mietenvolksbegehrens am Dienstagabend beschlossen haben, die Gespräche mit dem Senat nicht abreißen zu lassen.

Einen Grund hätten sie gehabt. Am Montag hatte Landeswahlleiterin Petra Mi­chae­lis-­Merzbach die von der Initiative eingebrachten Änderungsanträge für den Gesetzentwurf abgelehnt. Sie würden den Kern des Volksbegehrens berühren und daher unzulässig sein. In der Tat waren die Ini­tia­toren an einigen Punkten den Argumenten der Stadtentwicklungsverwaltung gefolgt und wurden prompt dafür bestraft. Nun müssen sie mit ihren Maximalforderungen in den „Wahlkampf“ ziehen.

Aber auch der Senat steht vor einem Dilemma. Nimmt die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner diesen Gesetzentwurf an, kostet es nach Berechnungen der Verwaltung 3 Mil­liar­den Euro. Kompromisse sind also weiterhin erwünscht.

Dafür braucht es aber Gespräche. Etwa darüber, ob man sich bereits im Vorfeld eines Volksentscheids einigen kann. Oder auch darüber, wie sich die Ini­tia­tive verhält, wenn nach einem gewonnen Volksentscheid das Abgeordnetenhaus das Gesetz sofort ändert – so, wie es die Ini­tia­toren mit ihren Änderungsanträgen wollten.

Eine Scheidung sieht anders aus. Uwe Rada

Müllers armselige Reaktion

Flüchtlingspolitik

Im Grundsatz hat der Regierende die Intention offener Briefe ja richtig verstanden

Gesetzeswidriges Verhalten von Behörden hatte der Berliner Flüchtlingsrat in einem offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Anfang der Woche angeprangert: Das für Flüchtlingsunterbringung zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) schicke Asylsuchende mit Hostelgutscheinen, die wegen der schlechten Zahlungsmoral des Amts kaum eine Herberge noch akzeptiere, wissentlich in die Obdachlosigkeit. Zudem kürze es den Flüchtlingen die ihnen zustehende finanzielle Hilfe um die Hälfte, was einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Existenzsicherung auch für Asylsuchende widerspreche.

Nun hat der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) in einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur (dpa) dazu Stellung genommen – Stellung genommen wohlgemerkt, denn geantwortet hat Müller ausdrücklich nicht. Er wolle auf den offenen Brief nicht antworten, sagte Müller der dpa, denn „das sei kein Weg, um wirklich mit­ein­ander zu reden, sondern man wolle hauptsächlich öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen“.

Hm, was soll man von solch einer Antwort eines regierenden Politikers halten?

Der Flüchtlingsrat, also das Sprachrohr und die Interessenvertretung von Menschen, die hier keinerlei politische Einflussmöglichkeiten haben, verfügt in Berlin über drei volle Stellen, finanziert aus EU-Geldern, Projektmitteln und von der Evangelischen Kirche. An einer der drei Stellen ist auch das Land Berlin beteiligt.

Zum Vergleich: Für den Flüchtlingsrat der nordrhein­west­fälischen Stadt Münster arbeiten 20 Leute. Münster ist mit knapp 300.000 EinwohnerInnen etwas kleiner als Neukölln. Das liefert einen kleinen Eindruck davon, wie wichtig die Arbeit die FlüchtlingslobbyistInnen hier genommen wird, welchen Einfluss sie damit auch geltend machen können.

Im Grundsatz hat der Regierende die Intention offener Briefe ja richtig verstanden: Sie dienen dazu, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen. Genutzt werden sie dafür oft von Institutionen oder Personen, die meinen, auf anderem Weg kein Gehör zu finden. Offene Briefe von JugendamtsmitarbeiterInnen haben zu Stellenaufstockungen geführt, Brandbriefe Berliner LehrerInnen zur Umstrukturierung des gesamten Schulsystems.

Dass Müller den Brief des Flüchtlingsrats nun auf diese Weise beiseite wischt, zeigt, dass auch ihm das Wohl der Flüchtlinge und ihre Menschenrechte kein großes Anliegen sind. Für einen regierenden Sozialdemokraten ist das wohlwollend interpretiert eine unprofessionelle, weniger wohlwollend eine armselige Reaktion. Alke Wierth