Wohin der Ozean was treibt

Meereskunde Fachleute halten es für möglich, dass das Wrackteil der Flugzeugtragfläche über Tausende Kilometer verdriftet ist

BERLIN taz | Meist ist Strandgut nur Müll: Plasteflaschen, Holzpaletten, rostige Fässer. In diesem Fall aber löst das Strandgut, das an der Küste einer Insel im südlichen Indischen Ozean gefunden wurde, weltweite Aufmerksamkeit aus. Das Teil ist offenbar die Lande- und Steuerklappe einer Flugzeugtragfläche, und es stammt möglicherweise von einer Boeing 777 – just dem Flugzeugtyp des malaysischen Flugs MH 370, die vor 16 Monaten verschwand.

Nun also taucht dieses Teil an einem Strand der französischen Überseeinsel La Réunion auf, die einige hundert Kilometer östlich von Madagaskar liegt. Das bedeutet: Stammt das Teil von der Unglücksmaschine, dann muss es über Tausende Kilometer auf dem Meer getrieben sein. Ist das plausibel? Und warum ist es nicht gesunken?

Flugzeugbau ist Leichtbau, sagen Flugsicherheitsexperten. In Lande- oder Steuerklappen von Tragflächen sei Luft enthalten, sodass ein Nichtsinken im Wasser möglich sei. Zudem werde man schnell herausfinden, zu welchem Flugzeugtyp und möglicherweise zu welcher Maschine das Teil gehöre.

„Die Nachricht vom Fund hat uns überrascht“, sagt Arne Biastoch, Ozeanograf am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. „Es kann durchaus sein, dass das Teil eine so weite Strecke zurückgelegt hat.“ Sowohl die Richtung als auch die Ge­schwin­digkeit der vorherrschenden Meeresströmung, dem Südäquatorialstrom, ließen dies wahrscheinlich erscheinen. Die Ostwestströmung habe eine Geschwindigkeit von etwa einem Kilometer pro Stunde; über den langen Zeitraum könnten durchaus mehr als 4.000 Kilometer zurückgelegt worden sein. Gleichwohl dämpft Biastoch Hoffnungen, die Absturzstelle des Flugzeugs genau eingrenzen zu können. Das mögliche Herkunftsgebiet des Wrackteils umfasse ein großes Areal vor der indonesischen und australischen Westküste. Mit einer Driftanalyse sei es aber möglich, statistische Wahrscheinlichkeiten für diese Gebiete zu bestimmen.

Hintergrund: Ähnlich wie Wetterphänomene werden auch die Ozeanströmungen weltweit per Satellit beobachtet. Diese Beobachtungen erlauben es, kombiniert mit Modellrechnungen, Aussagen über das Verdriften von Gegenständen zu treffen. Entscheidend dafür sind die Oberflächenströmungen des Ozeans; die von Wind und Wetter hervorgerufenen Wellen beeinflussen das Driftverhalten nach Angaben von Biastoch nur zu 10 bis 20 Prozent.

Ein weiterer Faktor beim Abdriften ist der direkt einwirkende Wind - wie jeder Paddler oder Segler weiß. Da das Flugzeugteil aber sehr flach ist und kaum aus dem Wasser ragte, dürften die Winde in diesem Fall keine große Rolle gespielt haben. Richard Rother