Berauscht von sich selbst

Die Bayern besiegen Werder in einem fantastischen Spiel mit Traumfußball 3:1. Nur Manager Hoeneß nörgelt – und droht der Konkurrenz: „Wir sind noch nicht an unserer Leistungsgrenze“

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Erst die Hälfte der Arbeit war getan, und schon lagen sie sich in den Armen, die Bayern: Demichelis kuschelte mit Makaay, Schweinsteiger ließ sich herzen, auch Ismael hatte einen Kollegen im Arm. Und: Das war vollkommen in Ordnung so. Kein Mensch wäre bei diesem harmonischen Bild vom kollektiven Ich-drück-dich-Gang in die Halbzeitpause auf die Idee gekommen, dem deutschen Meister so etwas wie die Überheblichkeit des Dauersiegers vorzuwerfen nach dem Motto: Die meinen wohl schon zur Halbzeit, dass sie gewonnen haben. Nein, wer so klasse Fußball zelebriert hat, der darf sich schon auch mal ein bisschen daran freuen.

45 Minuten allerbeste Unterhaltung, zwei Teams in Top-Form, vier Tore, gefühlte vierhundert Torraumszenen – die erste Hälfte des Bundesligagipfels Bayern gegen Bremen war ein Fest, „Traumfußball“ (Karl-Heinz Rummenigge), „fantastisch“ (Thomas Schaaf), „hat mich sehr erfreut“ (Franz Beckenbauer). Und was sagte Uli Hoeneß? „Wir sind noch weit davon entfernt, von dem, was ich mir von dieser Mannschaft vorgestellt habe. Wir sind noch nicht an unserer Leistungsgrenze. Das reicht noch nicht.“ Sieht die verdutzten, noch ein wenig berauschten Gesichter vor sich und legt nach: „Juve ist doch viel besser als Bremen. Deswegen war das am Mittwoch auch ein viel besseres Fußballspiel, das müsst ihr endlich mal verstehen.“ Müssen wir wirklich? Diesen superkontrollierten, nahezu akademischen Turin-Kick besser finden als die fehlerhafte Adrenalin-Sause am Samstag? Müssen wir natürlich nicht. Uli Hoeneß muss, der schon. Von Amts wegen. Hoeneß ist der Bauch des FC Bayern. Streichelt, wenn die Mannschaft Prügel bezieht. Haut drauf, wenn sie in den Himmel gelobt wird.

Und dazu gab es nach dem 3:1 gegen Bremen jede Menge Anlass. Denn mit Werder kam eine derart spielstarke, wache, respektfreie Mannschaft, wie man sie in der Allianz-Arena noch nicht erlebt hat. Kein Vergleich zu Juve. Und doch: Obwohl die Italiener ein äußerst blutarmes Schauspiel geboten hatten, konnte man sich auf Bayern-Seite des verdienten Sieges bis zur letzten Minute nicht sicher sein. Ganz anders Bremen: Obwohl Grün-Weiß ein wunderbar leidenschaftliches, kreatives Spiel zeigte, kam nie das Gefühl auf, die Partie könnte noch kippen. Im Gegenteil: Selbst wenn Bremen in der überlegen geführten Halbzeit zwei den Anschlusstreffer erzielt hätte, man hätte wetten mögen, dass Bayern einfach noch einen Gang hoch geschaltet hätte.

Das war dann aber doch nicht nötig. Die wilde Chancenjagd vom ersten Durchgang fand leider keine Fortsetzung. Bremen hatte nun zwar öfter und länger den Ball, aber nicht mehr so viel Kraft, Herz und Willen wie noch zu Beginn. Und der war ja selten furios: 38 Sekunden waren vorbei, als die Bayern im sechsten Bundesliga-Heimspiel endlich mal den ersten Gegentreffer kassierten. Klose sprang ungefähr einen halben Meter höher als Schweinsteiger (Udo Latteck: „Der braucht den Kopf nur zum Denken“) und rammte den Ball ins Netz. Ebenso energisch drosch Schweinsteiger zwei Minuten später die Kugel gen Reinke, touchierte dabei den Oberschenkel des Ex-Kollegen Frings, was Bayern den Ausgleich bescherte und Schweinsteiger den ersten Saisontreffer sowie ein paar Kilo Selbstbewusstsein, die er für den Rest des Spiels gewinnbringend einsetzte.

Auch Claudio Pizarro darf als ein Gewinner dieser Partie gelten. Nach Zé Robertos leicht gewonnenem Laufduell mit dem weitgehend indisponierten Owomoyela traf der Ex-Bremer in der 34. Minute zum 2:1 und legte zehn Minuten später dem Ex-Phantom Roy Makaay so nett auf, dass dieser gar nicht anders konnte als endlich seine Serie zu beenden. Für die Statistik: Es sollen 1.124 torfreie Minuten gewesen sein. Makaay sagte nur: „Jetzt ist alles wieder vergessen. Keiner braucht mehr die Minuten zu zählen.“ Mit dem Vergessen sollte er sich mal nicht so sicher sein. Uli Hoeneß, der Mahner, wusste von Makaays Boss Magath: „Der hat bestimmt eine Liste mit 25 Punkten, die ihm heute nicht gefallen haben.“ Und als hätten sie sich abgesprochen, sagte der Bayern-Coach ein paar Meter weiter: „Ich werde schon etwas finden, was wir noch besser machen können.“ Das steht zu fürchten. Die Konkurrenz wird’s nicht gerne hören.

Bayern München: Kahn - Sagnol, Lucio, Ismael, Schweinsteiger (83. Hargreaves) - Deisler (57. Jeremies), Demichelis, Ballack (66. Karimi), Zé Roberto - Pizarro, Makaay Werder Bremen: Reinke - Owomoyela, Andreasen, Naldo, Schulz - Baumann (33. Vranjes) - Frings, Borowski - Micoud - Klose, Valdez (46. Hunt) Zuschauer: 66.000 (ausverkauft); Tore: 0:1 Klose (1.), 1:1 Schweinsteiger (3.), 2:1 Pizarro (34.), 3:1 Makaay (44.)