KUNST

schaut sich in den Galerien von Berlin um

MARCUS WOELLER

Julien Michel wird gelegentlich als Realist bezeichnet. Dabei malte er lediglich figurativ und gegenständlich. Mit Realismus hat das so wenig zu tun wie barocke Ideallandschaften. Näher kommt man Michel, wenn man an historische Billboards denkt oder illusionistisch gemalte Kinoplakate. Panoramatisch und in Technicolor drängt sich „La Cascade“ ins Blickfeld. Das Breitbild ist derart kitschig, dass es schmerzt. Zwei so gut gebaute wie gebräunte Jünglinge posieren vor einem rauschenden Wasserfall. Überall ranken rosa Blüten rein. Weichzeichner legt sich über das homoerotische Paradies. In dem Bild ist alles exorbitant übersteigert: das Lächeln, der Sixpack, die satten Farben, die pralle Natur. Michel fand seine Motive in Zeitschriften und im Internet. Digital bearbeitet, verschmelzen inhaltliche wie formale Fotoinformationen zu rätselhaft codierten Bildern. Dann überführte Michel sie in die Malerei, adelte die banalen Fotos zu Ölgemälden, die vor allem eins kommunizieren – ihre eigene Präsenz als Bild. Die kleinen Bleistiftzeichnungen von Hunden sind dagegen unprätentiös, schlecht abgepaust von Fotos, scheinbar ohne jeden Anspruch hingekritzelt. In der ungeheuren Reihung von Dutzenden solcher Kläfferbildchen scheint wieder die eigentliche Not des Künstlers auf. Nämlich die eigene Arbeit ins Bild zu setzen. Michel hat 2002 aufgehört, künstlerisch zu arbeiten. Vor einem Jahr verstarb er im Alter von nur 38 Jahren. Mehdi Chouakri erinnert an diesen wenig bekannten Künstler (Julien Michel, „In Memory of“, bis 2. März, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Mehdi Chouakri, Invalidenstr. 117). Dass Alexander Duve ganz neue Werke zeigt, meint er ironisch. Fast noch feuchte Farbverläufe hängen an der Wand, Bilder von Satzzeichen, monochrome Leinwände mit eingehängten Angelhaken. Dürftige Arbeiten von Markus Amm, Sebastian Black und Paul Cowan? Vielleicht schaut man besser an der Kunst vorbei auf den Kunsthandel, der immer mehr und immer öfter, immer frisch und immer schnell neue Werke auf den Markt werfen muss. Ohne Humor bleibt man da schnell auf der Strecke, als Künstler wie als Händler. Doch der Grat ist schmal und Witz nicht gerade die Stärke des Kunstbetriebs. Die Gruppenschau mache den „Versuch, die seltene und einzigartige Erfahrung auszudehnen, die man macht, wenn man einem Werk dabei zusieht, wie es ins Dasein kommt“, heißt es im Ausstellungstext. Diese Geburtsmetapher ist wohl etwas hoch gegriffen, dennoch weist sie den Blick hinter die Kulissen einer Branche, die von Unfertigkeiten, Mysterien und Desinformationen lebt – und der etwas Ironie auf jeden Fall guttut („Very New Works“, Galerie Duve Berlin, bis 2. März, Di.–Fr. 11–18, Sa. 12–14 Uhr, Gitschiner Str. 94/94a, Eingang D).