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Mit Vollgas in den Stau

Mobilität Verkehrsminister Dobrindt macht Milliarden locker, um marode Straßen und Brücken zu sanieren. Er setzt aber zu viele Fehlanreize

Alles, was das moderne Leben in Deutschland ausmacht, würde ohne Autobahnen nicht funktionieren

von Richard Rother

Mit den Autobahnen ist das so eine Sache: Im Milieu der urbanen Umweltbewussten hält sie fast jeder für ein Verbrechen. Aber wenn man sie braucht, nutzt man sie: für den Umzug, für den Familienurlaub, für die Kurzreise im Fernbus. Ganz zu schweigen von der indirekten Nutzung: Heute im Internet bestellt, morgen als Paket zu Hause; Bio-Lebensmittel aus aller Welt; das ganze Zeug, das man sonst so braucht wie Handys und Rechner, Waschmaschinen und Fahrräder, Zeitungen und Schreibwaren, kommt nicht durch die Luft geflogen, im Gegenteil – alles, was das moderne Leben und Arbeiten in Deutschland ausmacht, würde ohne Autobahnen nicht funktionieren.

Kein Wunder also, dass Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in dieser Woche ein Investitionsprogramm von 2,7 Milliarden Euro für Autobahnen und Bundesstraßen angekündigt hat. Abgesehen von der notwendigen Infrastrukturmodernisierung in Ostdeutschland wurde ja hierzulande viel zu lange von der Substanz gelebt, wie maro­de Brücken eindrucksvoll belegen. Außerdem braucht Dobrindt, dessen Maut-Vorhaben nicht recht gelingen will, dringend Erfolgserlebnisse. Was gibt es also Schöneres, als neue Straßen in Bayern zu eröffnen, wo ein Großteil des Bundes-Geldes hinfließt?

Leider aber hat das Dobrindt-Programm einige Schönheitsfehler. Der wichtigste: Die Erkenntnis, dass der Erhalt von Straßen vor dem Aus- und Neubau zu stehen habe, wird schlicht und einfach ignoriert. 2,2 Milliarden gibt es für Neubauten, darunter viele Ortsumgehungen von Bundesstraßen, und nur eine halbe Milliarde wird für Modernisierungen bereitgestellt.

Schwerwiegend ist auch: Um den Investitionsstau zu beheben, will Dobrindt umstrittene Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft (ÖPP) mit einem Volumen von 15 Milliarden Euro auf den Weg bringen. Solche Vorhaben sind langfristig für die öffentliche Hand teurer; sie dienen lediglich dazu, den unter den Niedrigzinsen leidenden Banken und Versicherungen lukrative Geschäfte zu verschaffen und die Schuldenbremse, die sich der Staat auferlegt hat, zu umgehen.

Geschockt von der maroden Substanz verliert Dobrindt – und die Große Koalition – zudem den großen Wurf aus den Augen: eine Verkehrswende einzuleiten. Die ist nicht nur ökologisch geboten, sondern auch verkehrspolitisch. Das Wirtschafts- und das Bevölkerungswachstum sowie die zunehmende Verstädterung in Deutschland führen nämlich zu mehr Verkehr. Wenn es nicht gelingt, diesen Verkehr zumindest teilweise von der Straße zu kriegen, wird es noch mehr Staus geben. Irgendwann sind die Möglichkeiten erschöpft, Autobahnen mit weiteren Fahrstreifen zu versehen – auch wenn diese mitunter, höhere und bessere Schallschutzwände oder Überdeckelungen inklusive, sogar für Anwohner Erleichterungen bringen können.

Notwendig wären also deutlich mehr Investitionen in die Modernisierung und den Ausbau des Schienennetzes, wobei Deutschland im internationalen Vergleich hinterherhinkt. Sinnvoll wäre auch der Aufbau eines Netzes von Radschnellwegen, wie es Holland oder Dänemark geradezu vorbildlich vormachen.

Wunder darf man davon aber nicht erwarten: Radschnellwege haben keinerlei Effekt auf den zunehmenden Güterverkehr auf der Autobahn – auch in den Niederlanden gibt es unzählige und häufig überlastete Schnellstraßen. Auch lässt sich der Transport sehr vieler Güter nicht auf Schienen oder Kanäle verlagern. Selbst wenn überall Bahnhöfe oder Häfen vorhanden wären, sprechen dagegen schon die Ansprüche an Schnelligkeit und Flexibilität der Lieferungen – und zwar bei Produktion, Vertrieb und Konsum.

Anders gesagt: Der Strom mag aus Wind- und Sonnenkraftwerken in die Steckdosen kommen – aber das Mehl, das in die Biobäckerei gekarrt wird, kommt nicht auf Waggons, Frachtern oder Lastfahrrädern. Wir werden noch lange Zeit mit den ungeliebten Autobahnen leben müssen.

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