„Dieses Gejammer ist letztlich auch nur taktisch“

Das bleibt von der Woche Die CDU-Mitglieder stimmen gegen die Ehe für alle, das Riesenwohnprojekt der Genossenschaft in der Möckernstraße steht endgültig vor dem Aus, der Info-Container der Flüchtlingsbewegung auf dem Oranienplatz wird vom Bezirk abgebaut, und Piraten-Fraktionschef Martin Delius glaubt nicht mehr an eine Wiederwahl der Piraten

CDU erfüllt die
Erwartungen

Partei gegen Ehe für Alle

Jetzt heult die Opposition auf: „Letztes Biotop konservativer Spießigkeit“

Die Berliner CDU, also jetzt die Parteioberen, hat gar kein Problem mit Schwulen. Das sieht man schon daran, dass ihre Geschäftsstelle am Wittenbergplatz nur ein Stockwerk unter dem Bruno-Gmünder-Verlag residiert. Der macht Bücher für ein Fachpublikum, das sich fürs Thema Ehe vielleicht gar nicht so übermäßig interessiert („Fist-Fibel“, „Schöner ficken“).

Die Mitglieder dagegen, die wollen nicht, dass Ehe und Schwul-, Lesbisch- oder sonst wie Unheterosein zusammengehen. Die Mehrheit bei der Mitgliederbefragung ist nicht überwältigend, aber solide. Und deshalb wird Landeschef Frank Henkel, der selbst mit „eher dafür“ gestimmt hat, keine weiteren Zugeständnisse in Richtung „Ehe für alle“ machen.

Jetzt heult die Opposition auf: „im Kern ein reaktionärer Verein“, „letztes Biotop konservativer Piefig- und Spießigkeit“ usw. Das mag alles sein. Aber dieses Gejammer ist letztlich auch nur taktisch. Herrje: Fast jeder zweite Christdemokrat findet die Ehe für alle zumindest okay, und ein Blick auf die Altersverteilung zeigt, dass sich das Verhältnis von Pro und Contra in nicht allzu ferner Zukunft auf rein biologischem Wege umkehren dürfte.

Es verlangt doch Respekt ab, wenn sich der Katholik Frank Henkel gegen die klare Position seiner Kirchenführung stellt und das auch sagt. Und hinzufügt, die Diskussion werde hier ganz sicher nicht aufhören. Ist doch prima, möchte man den Nörglern zurufen. Was habt ihr denn erwartet?

Richtig peinlich ist aber der Umgang mancher Kritiker mit dem Zustandekommen des Ergebnisses. „Für Henkel und Co. ist der Ausgang der Umfrage der größtmögliche Unfall“, findet Grünen-Chef Daniel Wesener, „auf dieser Grundlage suchen sie offenbar in der AfD ihren politischen Partner in Berlin.“ Moment, wie jetzt? Hat sich die CDU-Führung das Ergebnis selbst gestrickt, um bei den Populisten zu punkten? Wo es doch ein Unfall war? Hä?

Und dann Pirat Andreas Baum: „Fraglich ist, ob dies tatsächlich das Meinungsbild der Berliner CDU widerspiegelt“, sagt er, „oder ob man sich scheute, offen dem Bauchgefühl von Frau Merkel und der Haltung ihrer Fraktion zu widersprechen.“ Was unterstellt er damit, Wahlbetrug? Oder findet er, dass die Basis lieber nicht mitreden sollte, wenn‘s ernst wird?

Den aufgebrachten Kritikern sei gesagt: Relax, don‘t do it. Kommt runter. Alles hat seine Zeit. Claudius Prößer

Bericht SEITE 52

Geteilte Gefühle in Kreuzberg

Möckernkiez in der Krise

Der Möckernkiez zeigt, dass durch das alternative Berlin ein tiefer Riss geht

Was keiner glauben wollte, wird langsam denkbar. Das Genossenschaftsprojekt in der Möckernstraße steht vor dem Aus, wie am Montag bekannt wurde. Trotz einer Professionalisierung auf Kosten der Basisdemokratie hat die Genossenschaft, die 464 Wohnungen bauen wollte, noch immer keine neuen Geldgeber gefunden. Eine weitere Eigenkapitalerhöhung scheint unrealistisch. Was soll mit dem eingemotteten Rohbau am Gleisdreieckpark werden? Und verdienen die Genossen Mitleid? Die Meinungen gehen auseinander.

Bislang entzündete sich Streit über Bauprojekte im linken Milieu vor allem bei Baugruppen. Kritiker werfen den Projekten oft vor, andere Nutzungen zu verdrängen – in Pankow etwa musste ein Kleingarten einer Baugruppe weichen. Darüber hinaus würden sich solche Projekte kaum von anderen Neubauten unterscheiden, bei denen keine Miet-, sondern Eigentumswohnungen entstehen.

Am Gleisdreieck hat man von vornherein ein anderes Modell gewählt. Eine Genossenschaft versprach mehr soziale Durchlässigkeit und sollte Wohnungen schaffen, die dem spekulativen Markt dauerhaft entzogen sind. So weit der Anspruch. Die Realität sah anders aus. Ein Eintrittsgeld in die Genossenschaft von fast 1.000 Euro pro Quadratmeter und eine Miete in Höhe von 7 Euro aufwärts machten den Möckernkiez zu einem teuren Traum, den sich entweder nur Gutverdiener oder Erben leisten konnten.

Ebendies dürfte der Grund sein, warum sich das Mitgefühl derzeit in Grenzen hält. Es ist eben keine kleine Mietergenossenschaft, die vor dem Abgrund steht, sondern ein Prestigeprojekt. Der, für den das ohnehin unerschwinglich war, zuckt mit den Schultern. Wer das Geld gehabt hätte, aber nicht zum Zuge kam, atmet tief durch. Die, deren Geld nun verloren scheint, verzweifeln.

So gesehen, ist der Möckernkiez ein Beispiel dafür, dass auch durch das alternative Berlin ein tiefer Riss geht. Die einen sind Mittelschicht qua Geldbörse. Die andern ahmen nur den Habitus nach. Zu wem gehören Sie? Ihre Reaktion auf die Pleite der Genossenschaft gibt die Antwort

Uwe Rada

Flüchtlinge vom Platz gefegt

CONTAINER AM O-PLATZ GERÄUMT

Es dürfte eher darum gehen, eine politische Bewegung loszuwerden

So manchem politisch Verantwortlichen ist am Montag gewiss ein Stein vom Herzen gefallen. Als mit dem Infocontainer das letzte sichtbare Zeichen des Flüchtlingsprotests vom Oranienplatz abgeräumt wurde, diente dies vordergründig zwar nur der Beseitigung eines demolierten und unbrauchbaren Metallkastens, der vor allem Vandalen und Obdachlose anzog. Im Grunde dürfte es allerdings eher darum gehen, mit dem Großreinemachen eine politische Bewegung loszuwerden, die in den vergangenen Jahren ­zunehmend lästig geworden ist – was man aus Opportunitätsgründen nie laut zu sagen wagte.

Zur Erinnerung: Als Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) im März 2014 mit den Besetzern eine schriftliche Vereinbarung traf, wurden darin nicht nur die Modalitäten des Zeltabbruchs festgelegt, es wurde auch erklärt, dass man sich einig sei, „dass die Bedingungen für schutzsuchende Flüchtlinge in Europa und in Deutschland verbessert werden müssen“ und der Oranienplatz „als Informations- und Protestplattform für die Rechte von Flüchtlingen erhalten [bleibt]“. Zu diesem Zweck wurde nicht nur ein „Info-Zelt“ aufgebaut, Kolat spendierte dazu noch den Container – als Provisorium, wie sogleich beteuert wurde, bis eine bequemere, größere Lösung gefunden sei.

So weit kam es nie. Dafür kamen Spinner, die die endlosen Politikertiraden gegen „Asylmiss­braucher“ und „Wirtschaftsflüchtlinge“ als Handlungsaufforderung miss­ver­stan­den hatten und zuerst das „Info-Zelt“ abbrannten, dann den Nachfolger, das „Haus der 28 Türen“. Die Reaktion von Dilek Kolat: Schweigen. Bis heute kam weder vom Senat noch vom Bezirk, dessen regierende Grüne sich ebenfalls verbal zu einer neuen Flüchtlingspolitik bekennen, das Angebot, der Oranienplatz-Bewegung eine neue Behausung zu spendiereen, damit diese ihre – angeblich so geschätzte Arbeit – fortsetzen kann.

Im Gegenteil: Der Bezirk legte den Flüchtlingen Steine in den Weg. Mehrmals wurden Veranstaltungen auf dem Platz verboten, obwohl die Protestler eine Sondernutzungserlaubnis haben (auch jetzt noch). Die Aktivisten, die nicht mehr auf dem Platz schlafen durften, sollten immer anwesend sein – obwohl sie den viel zu kleinen Container gar nicht für Versammlungen nutzen konnten. Zuletzt hatte man sogar die Chuzpe, den Flüchtlingen anzudrohen, dass sie den Abtransport des Containers bezahlen müssten.

Vielen mag es zu weit gehen, zu sagen, der Politik seien die Brandanschläge auf den Oranienplatz letztlich gut zupassgekommen. Das Gegenteil ließe sich leicht beweisen: Bezirk und Senat müssten der Bewegung nur einen neuen Treffpunkt spendieren.

Susanne Memarnia

Scheitern
als
Chance

Letztes Jahr der Piraten

Delius hofft, dass die Piraten als gute Sachpolitiker in Erinnerung bleiben

Es war kein großes Geheimnis, aber nun ist es, so weit es geht, offiziell: Die Piratenfraktion wird es nach 2016 nicht mehr geben. „Wir als Fraktion bereiten uns darauf vor, dass es nach der Wahl nicht weitergeht“, erklärte Fraktionschef Martin Delius in der Donnerstagausgabe der taz. Nicht mal um den Wiedereinzug kämpfen will man – was sogar ein Vorteil sei: Die Oppositionsarbeit werde nun einfacher, so Delius, weil die Fraktion „nicht mehr in Wahlkampfrhetorik verfallen oder Regierung im Wartestand spielen“ müsse wie andere.

Das sind bemerkenswert offene Bekenntnisse für einen Politiker, noch dazu für einen mit dem Format von Delius, der es als Vorsitzender des BER-Untersuchungsausschusses zu Ansehen in der Landespolitik gebracht hat und dem durchaus Chancen zugestanden werden, in anderer Funktion in der Landespolitik verweilen zu können. Bleibt die Frage, was diese Ehrlichkeit bringt.

Delius hofft offenbar auf die Ehre, dass die Piraten – und damit letztlich auch er – zumindest in Berlin als gute Sachpolitiker in Erinnerung bleiben. Und später als Vorbild dienen können für andere Initiativen und Gruppen, die den Schritt ins Parlament wagen wollen. Nach dem Motto: Politik ist eben nicht nur das Ringen um Macht.

Dass sich diese Hoffnung erfüllt, ist eher unwahrscheinlich: Zu sehr ist das Image der Partei von den bundespolitischen Querelen beschädigt. Auch hat es für Grüne und Linkspartei – die potenziellen Erben der Piratenwähler – keinen Sinn, die Erinnerung an einen letztlich unliebsamen Konkurrenten am Leben zu erhalten, etwa indem sie offensiv dessen Themen und Thesen übernehmen. Schließlich war der Erfolg der Piraten 2011 auch eine Kritik an dem inhaltlich dünnen Wahlkampfauftritt von Grünen und Linken. Und in der Politik wird einem eben nichts geschenkt.

Was den Blick geradewegs auf den Herbst 2016 lenkt und die Frage, wie die anderen Parteien vom Ableben der Piraten zu profitieren gedenken. Hoffentlich nicht nur, indem sie das Phä­nomen Piraten schlicht igno­rieren. Das würde nur die Zahl der Nichtwähler erhöhen. Vielmehr täten die ­Etablierten gut daran, etwas von der Frechheit und der Unvoreingenommen­heit der ­Piraten ­mitzunehmen. So könnte sich zumindest das Erscheinungsbild der bisweilen allzu nüchternen Landes­politik positiv verändern. Und letztlich den Piraten sogar post­hum, sogar verdient zur Ehre gereichen,ohne dass die anderen ­darunter leiden. Bert Schulz