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Sturmwelle vor Irland

AUSSTELLUNG Im Kunstverein Göttingen setzt sich der Künstler Julius von Bismarck auf ungewöhnliche Art mit dem menschlichen Verhältnis zur Natur auseinander

von Julia Gwendolyn Schneider

„Festen Boden unter den Füßen finde ich nicht toll,“ erklärt Julius von Bismarck auf die Frage, wie das Werk „Den Himmel muss man sich wegdenken“ (2014) entstanden sei. In Zeitlupe wird die Videoarbeit von einer gewaltigen, fast schwarzen Wassermasse dominiert. Würden sich die einzelnen Schichten der aufgetürmten See nicht sachte bewegen, könnte man meinen, vor einer steilen Felswand zu stehen, dabei handelt es sich um eine Sturmwelle vor der Küste von Irland. Meditativ und gleichermaßen bedrohlich verweist von Bismarcks Wellen-Loop auf die menschliche Ohnmacht angesichts der Kraft des Meeres. Für den Berliner Künstler, der Erfahrungen am eigenen Leib als Teil seiner künstlerischen Praxis versteht, war klar, dass er solange suchen würde, bis er einen Skipper fände, der bereit wäre, mit ihm bei Sturm auszulaufen, um jenen Wellenberg zu erleben und zu dokumentieren.

Von Bismarck zeigt diese Meeresperspektive derzeit im Kunstverein Göttingen als Teil seiner ersten institutionellen Einzel­ausstellung in Deutschland. Unter dem Titel „Tiere sind dumm und Pflanzen noch viel dümmer“ geht es in Arbeiten von 2012 bis 2015 vor allem um die Begegnung zwischen Mensch und Natur, wobei der Künstler oft selbst in Erscheinung tritt. In der Videoarbeit „Punishment I“ (2012) ist in einer Gletscherlandschaft eine winzige Gestalt zu sehen, vergleichbar mit Casper David Friedrichs „Der Mönch am Meer“. Der Mann beugt sich vor, erhebt den rechten Arm, schwingt die Bullenpeitsche, holt aus und versetzt der Eisschicht einen Hieb nach dem anderen, ohne Unterlass. Unverkennbar durch seinen Rauschebart ist von Bismarck selbst am Werk, drischt unbeirrt auf die Natur ein. Der Film zeigt ihn in der Schweiz in ganz verschiedenen Gegenden: Egal ob auf dem höchsten Alpengipfel, am Ufer des Zürichsee, oder in einer bunten Wildwiese von Nebelschwaden durchzogen, die Natur wird von ihm ausgepeitscht.

„Eigentlich peitsche ich nicht die Natur aus, sondern das romantische Bild der Natur“Künstler Julius von Bismarck versieht Gletscher und Wiesen mit Hieben

Die Natur aber gibt nicht nach, stoisch trotz sie dem Menschen, oder beachtet ihn gar nicht, wie die Schwäne am See­ ufer. Für von Bismarck hingegen sei es ein richtiger Kampf geworden, bis zur eigenen Erschöpfung wie er selbst betont. Was wie eine Bestrafung der Natur wirkt, kann auch als Bestrafung des Künstlers und der Menschheit an sich gedeutet werden. Die Arbeit spielt auch auf den altpersischen Herrscher Xerxes I. an, der sich nach einem gescheiterten Brückenschlag über die Dardanellen nach Griechenland mit 300 Peitschenhieben am Meer rächen wollte. Von Bismarck scheint sich in ein ähnliches Kräftemessen zwischen Mensch und Natur zu begeben, als begeisterter Bergsteiger und Gartenliebhaber ist er aber gar kein Naturhasser. „Eigentlich peitsche ich nicht die Natur aus, sondern das romantische Bild der Natur.“ Die perfekte Natur, wie sie die ausgewählten Orte repräsentieren sei im Grunde nur eine Erfindung, eine Projektion, ein Diskurs. Dies wird durch ein konzeptuelles Gedicht von Dorothee Elmiger verdeutlicht, das aus dem Off parallel eine Variation des Xerxes-Mythos parallel zu den Peitschenhieben durchdekliniert. Die Schweiz wird bei Elmiger zu einer „gebauten“ Naturlandschaft. In ihrer politischen Poesie wird das Bild der idyllischen Schweiz unter anderem durch abgewiesene Asylbewerber brüchig.

In „Landscape Painting“ (2015) steuert von Bismarck die Wahrnehmung der Natur wortwörtlich durch einen Anstrich. Dafür ließ er in Mexiko ein Stück Wüste und ein Stück Dschungel mit Lebensmittelfarbe weiß grundieren, um dann in realistischer Malerei die ursprüngliche Farbigkeit, wie sie von der Natur vorgesehen war, wieder herstellen zu lassen. Die Doppelprojektion zeigt mexikanische Feldarbeiter, die eine gänzlich weiße Felsformation rot anstreichen, während auf der anderen Seite das weiße Blattwerk von einem einheimischen Indianerstamm mit grüner Farbe bepinselt wird, bis es wieder aussieht wie der restliche Urwald. Höchst kurios und mit einem großen Sinn für Humor vollzieht diese aufwändige Intervention die Umkehrung eines malerischen Gestus des 19. Jahrhunderts und fragt kritisch danach, was unter Natur und Kultur zu verstehen ist. Eine Änderung der Perspektive betrifft in von Bismarcks Kosmos auch die Tierwelt. Seine Fotoserie „Some pigeons are more equal than others“ (2012) zeigt die Verwandlung von grauen Stadttauben in bunte Paradiesvögel durch eine von ihm und Julian Charrière entworfene Falle, die die Vögel anlockt, fängt und ihnen mithilfe von Lebensmittelfarbe einen schillernden Auftritt verleiht.

Bis 23. August, Kunstverein Göttingen, Katalog (Kerber Verlag) 35 Euro

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