Oscar, ick hör dir trapsen

Film Nazis, Stasi und Juliane Köhler – „Zwei Leben“ war fest für den Oscar 2014 eingeplant (22.45 Uhr, ARD)

Katrine, gespielt von Juliane Köhler, spioniert in Norwegen für die Stasi Foto: Zinnober Film/ARD

von Jens Müller

Es war das Jahr, in dem sie auch den ungemein lässigen „Oh Boy“ ins Rennen um den Auslands-Oscar hätten schicken können. Aber deutsch ist bekanntlich das Gegenteil von lässig, und so hieß der Kandidat „Zwei Leben“. Ein Film, zusammengerührt streng nach dem Erfolgsrezept für deutsche Oscar-Filme. Wichtigste Zutat: die bleischwere deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. They love it, die Amerikaner, auch das ist bekannt. In diesen Wochen läuft auf Sundance TV „Deutschland 83“, die erste Serie, die das amerikanische Fernsehen in deutscher Sprache ausstrahlt (RTL wird sie hierzulande wohl im Herbst zeigen) , über einen adoleszenten Stasi-Spion in der Bundeswehr.

„Zwei Leben“ bringt es fertig, gleich mit beiden Pfründen, mit den Nazis und der Stasi, zu wuchern. Denn, so erklärt die Schrifttafel zum Schluss: „Ende der 60er Jahre schleuste die Staatssicherheit der DDR Geheimagenten mit gefälschten Lebensborn-Identitäten in norwegische Familien ein. Sie sind immer noch nicht alle enttarnt.“

Da haben also während der deutschen Besetzung die Nazi-Soldaten den blonden norwegischen Frauen arische Musterkinder gemacht, die dann in die Lebensborn-Heime im Reich verschleppt oder in Norwegen als „tyskerbarna“, Deutschenkinder, diskriminiert wurden. Ka­trine ist so ein Deutschenkind – das heißt, sie ist es nicht, sie ist noch nicht einmal Katrine. Sie hat nur die Identität der aus der DDR geflohenen, vermeintlich nach Norwegen heimkehrenden Katrine angenommen, um dort im Stasi-Auftrag zu spio­nieren.

Was mit der echten Katrine passiert ist, es ist eher unappetit­lich. Der Zuschauer sieht es sich in einer Rückblende an, von denen es im Film einige gibt, immer sofort erkennbar an ex­trem grobkörnigen und überbelichteten Bildern – so hat die Welt früher ausgesehen, nicht nur im Film (oder?). Die eigentliche Handlung spielt im Jahr 1990. Katrine – es gibt nur noch die eine – hat sich in einer skandinavischen Bilderbuchfamilie in landschaftlichem Bildbandidyll (Fjord!) eingerichtet: Das Inga-Lindström-Personal könnte neidisch werden! Dummerweise ist gerade die Mauer gefallen, und ein eifriger junger Anwalt (Ken Duken) kämpft ungefragt für ihre Rechte als Deutschenkind. Und die Rechte ihrer Mutter, dem Deutschenflittchen. Die wird gespielt von der großen Bergman-Mimin Liv Ullmann. Internationale star power.

Und, ach so, Katrine wird gespielt von der ganz großartigen Juliane Köhler, bekannt etwa aus dem deutschen Auslands-Oscar-Film „Nirgendwo in Afrika“, wohin die von ihr gespielte jüdische Protagonistin vor den Nazis geflohen war.

Die Amerikaner lieben die blei­schwere deutsche Geschichte. Oder?

Nun lebt Köhler in Georg Maas’ Film das Leben einer anderen und demonstriert als vom Weg abkommende (Ex-)Stasi-Agentin – wie Ulrich Mühe in Florian Henckel von Donnersmarcks Auslands-Oscar-Film – die Obsession der Stasi mit der Infiltration von Familien­strukturen. Es gibt auch die bösen grauen Stasi-Eminenzen, die auch das Ableben der DDR in ihrem Tun nicht weiter zu irritieren scheint. „Dein operatives Vorgehen ist sinnlos und riskant“, belehrt sie dieser Hugo (Rainer Bock).

Aber sie muss doch etwas tun, um das Geheimnis und sich ihr gefährdetes Inga-Lindström-Glück zu bewahren! Der Kinderwagen ihrer Enkelin rollt vor einen Laster, und Bremsleitungen werden durchtrennt. Nichts geht den Amerikanern doch über ein bisschen Thrill und Action. Und ganz große Gefühle. Und natürlich filmmusikalische Beschallung ohne falsche Zurückhaltung, wie der deutsche Oscar-Filmkomponist Hans Zimmer immer wieder bewiesen hat. Verantwortlich für die laute Mucke mit den vielen Streichern ist Julian Maas, der auch an Conchita Wursts Gewinnerlied „Rise Like a Phoenix“ mitgeschrieben hat.

„Zwei Leben“ hat übrigens dann bei der 86. Verleihung am 2. März 2014 keinen Oscar bekommen, er war von der Academy gar nicht erst nominiert worden. So blöd – oder berechenbar – sind die Amerikaner nämlich auch nicht.